Implantate – der Wunsch „fest zuzubeißen“

Wir erleben derzeit einen wahren Boom – mit steil steigenden Zahlen werden Implantate gesetzt, dies zum Ersatz der zahllosen extrahierten Zähne (laut Erhebung des IDZ fielen in vier Wochen pro Zahnarzt 20,9 Zähne der Zange zum Opfer, das waren 1,5 pro Patient, im Durchschnitt (Glockmann et al, Institut der deutschen Zahnärzte). Hochgerechnet wären das ca. 100 Millionen verlorene Zähne in nur vier Wochen, eine beeindruckende Zahl. Dem stehen jährlich etwa 500.000 bis 1.000.000 Implantationen pro Jahr gegenüber, so genau kann man´s derzeit nicht sagen, weil eben die Zahlen, die man bekommt, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits überholt sind. Da steckt noch viel Wachstum für Implantate dahinter.

Redaktion

 

Der Wunsch der Patienten, „fest zubeißen“ zu können, kann mit konventionellem Ersatz selten befriedigt werden. Insbesondere herausnehmbarer Ersatz stellt für viele unserer Patienten eine unzumutbare Belastung dar – so strömen immer mehr Patienten in die Praxen und sind bereit,

wesentliche Anteile ihrer finanziellen Ressourcen in eine bessere – sprich implantologische – Versorgung zu investieren. Es sollte jedoch jedem klar sein, dass ein Implantat niemals ein wirklicher Ersatz für eigene Zähne sein kann. Das Implantat ist eben auch nur eine Prothese, wenn auch eine ziemlich gute.

Nun weiß man aber auch, dass etwa ein Drittel der extrahierten Zähne wegen „Parodontose“ verloren wurden, und insbesondere in höherem Lebensalter wird dieser Extraktionsgrund immer wesentlicher. Die Parodontitis, ausgedrückt als PSI Grad, nimmt laut epidemiologischer

Studien mit dem Lebensalter stark zu. So finden sich mit einem PSI Grad 3 und höher schon zwei Drittel der Bevölkerung eine Parodontitis Grad 3 ist jedoch stets mit einer hohen Keimbelastung verbunden. Die speziellen Keime, die für den Zahnverlust bei einer Parodontitis verantwortlich

sind, sind jedoch auch eine hohe Belastung für die einer Implantation fast zwangsläufig folgende Periimplantitis.

Periimplantitis ist ein inflammatorischer irreversibler Prozess um die Gewebe eines in Funktion befindlichen osseointegrierten Implantates, der zum Verlust von Stützknochen führt. Periimplantäre Mukositis ist im Gegensatz dazu eine reversibel entzündliche Veränderung des periimplantären

Weichgewebes ohne Knochenverlust. Die Verbreitung der periimplantären Mukositis ist von 8 % bis

44 % und der Periimplantitis von 1 % bis 19 % angegeben (Flores-de-Jacoby).

Diese Zahlen sind zumindest mit Vorsicht zu interpretieren, basieren sie doch auf Daten von bis zu 10 Jahren Implantatliegedauer. Flores: „Die Periimplantitis ist die klinische Darstellung

und die biologische Veränderung eines sogenannten „late implant loss”, das heißt nach funktioneller Belastung und wird angegeben mit einem Verlust von 2,1 % bis 11,3 % in einer Beobachtungszeit von 5-10 Jahren“. Aus Skandinavien sind jedoch Zahlen bekannt, die einen starken Anstieg nach 15 Jahren erwarten lassen. Die periimplantäre Mukositis ist dabei vergleichbar der Gingivitis, die Periimplantitis der Parodontitis. Wenn wir also erwarten, dass sich in einem ziemlich hohen Prozentsatz solche Symptome zeigen werden, sollten wir keinesfalls so tun, als sei das Implantat die ultimative Lösung.

Auch Implantate können aus den gleichen Gründen verloren gehen wie Zähne (wobei ein Versagen der Suprakonstruktion, wie z.B. Brüche des Abutments, der Karies analog ebenfalls zum Verlust führt, und das schon relativ früh, teilweise bereits vor Ablauf von fünf Jahren).

 

Als Ursache für den Implantatverlust (late implant loss) werden angegeben:

  • funktionelle Belastung,
  • allgemeine Erkrankungen wie z. B. Diabetes bzw. Osteoporose,
  • Strahlen- bzw. Medikamenteneinfluss,
  • Rauchen,
  • schlechte Mundhygiene,
  • unsaniertes parodontal erkranktes Gebiss und
  • fehlendes Recall, etc.

In einer Langzeitstudie (9–14 Jahren) mit einer Gruppe von parodontal erkrankten und parodontal gesunden mit Implantat versorgten Patienten in Schweden wurde ein Implantatverlust in 1,7 % aufgrund der insuffizienten Suprakonstruktion festgestellt, hingegen ein Implantatverlust

von 16,6 % beim Raucher (!). Da meist eine Kombination der Faktoren gegeben sein wird, sollte man sich jedenfalls Gedanken zur Lebenserwartung bei Implantaten machen.

 

Denn, die Patienten erwarten eine recht lange Lebensdauer, aus zweierlei Gründen:

  • Hohe Investition (Geld) und
  • Schmerzen bzw. Beeinträchtigung und Unannehmlichkeiten

 

Wichtig: Vor Implantation muss das Restgebiss vollständig saniert sein, insbesondere parodontale und endodontische Therapien mit einer vollständigen Ausheilung sind obligat.

 

Als parodontal geheilt kann nur der Patient angesehen werden, der definitiv keine Taschen mehr aufweist, d.h., es darf beim PSI nur maximal Grad 1 – 2 gefunden werden.

Die regelmäßige Erhebung des PSI ist eine conditio sine qua non (Recall!). Der wesentliche Faktor mit einer signifikanten Assoziation mit Implantatverlust (Studie über 9–14 Jahre) ist im Unterschied in der Parodontitisgeschichte zu finden. Patienten mit einer Parodontitisvergangenheit hatten eine Überlebensdauer von 90,5 % im Vergleich zu parodontal gesunden von 96,5 %. Beziehen wir die Zahlen der Indikation für die Zahnextraktion in unsere Überlegungen ein, so wird klar, dass wir mit einer großen Zahl an Periimplantitisfällen nach längerer Liegedauer rechnen müssen.

 

Auch wenn die natürliche parodontale und die künstliche periimplantäre Verankerung biologisch separate Gebilde darstellen, zeigen sie Ähnlichkeiten bezüglich eines Sulcus aus Weichgewebe und eines Teils des Stützgewebes aus Hartgewebe (Alveolar bzw. periimplantärer Knochen). Dabei sollte nicht unterschätzt werden, dass beim Implantat mit der ankylotischen Verbindung im Gegensatz zum

Parodont mit seinen elastischen Sharpeyschen Fasern und der elastischen Aufhängung im Knochen jegliche Fehlbelastung viel gravierendere Folgen hat. Auch die Gingiva ist der Mukosamanschette in vielerlei Hinsicht überlegen.

Beobachtet man bei einer Gingivitis sofort eine starke Rötung und Schwellung als Reaktion, so unterbleibt dies beim Implantat vollständig. Optisch/visuell kann man eine Mukositis bzw. Periimplantitis kaum erkennen – nur die Sondierung (bleeding on probing) sowie das Röntgenbild

können Aufschluss darüber geben, ob das Implantat noch gesund im Knochen steckt.

Periimplantitis und Periodontitis haben eine vergleichbare Ätiologie. Die Mikrobiota an Implantaten und Zähnen bei Teilbezahnten ist ähnlich und Parodontopathogene werden in der Regel an Implantaten mit umgebendem entzündetem Gewebe ebenfalls gefunden. Der gingivale Sulcus dient als Bakterien-Reservoir, und diese kolonisieren das Implantat. Obwohl der Periimplantitisverlauf sich nicht vollständig gleich einer Progression einer Parodontitis zeigen kann, existieren einige Ähnlichkeiten.

Langzeitstudien haben ergeben, dass Implantatpatienten ohne Recall-System spätestens nach zehn Jahren an Periimplantitis leiden, und je länger ein Implantat in der Mundhöhle ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Periimplantitis. Dies impliziert, nebst der schwierigen Erkennbarkeit einer periimplantären Erkrankung, einen regelmäßigen Recall nach festen Vorgaben (PSI, Röntgen).

Trotz aller Anstrengung, eine Periimplantitis gar nicht erst entstehen zu lassen, ist festzustellen, dass es mit der Zunahme an Implantatträgern auch eine Zunahme an Periimplantitispatienten geben wird.

 

Dem kann nur begegnet werden, wenn

  • prinzipiell von der Möglichkeit einer Folgekrankheit nach Zahnverlust und Implantation ausgegangen wird
  • ausreichende Kapazitäten geschaffen werden, um Patienten mit Periimplantitis zu behandeln
  • schon bei Planung der Implantation Möglichkeiten eines Fehlschlags bedacht werden
  • kontinuierlich an Methoden zur Verbesserung der derzeitigen Therapievarianten gearbeitet wird.

 

/// THERAPIE

Der Begriff „Periimplantitis“ wurde erstmals 1980 gebraucht und auf dem ersten Europäischen Workshop für Parodontologie in Ittingen/Schweiz präzisiert (1993).

Die Behandlung der Periimplantitis ist bis heute eine nicht wirklich befriedigend gelöste Aufgabe. Die Methodik wurde ausgehend von der Parodontaltherapie an Implantate adaptiert, wobei naturgemäß Probleme schon in der Form der Implantatkörper gegeben sind. Zahnwurzeln sind glatt, Implantate haben schraubenförmige Körper. Dies alleine limitiert schon die Therapien der Parodontologen, wie geschlossene Kürettage, diverse offene Verfahren, diese entweder als alleinige Maßnahme oder in Verbindung mit Knochen bzw. Knochenersatzmaterialien mit oder ohne Membran, oder auch Osteoplastik und apikaler Verschiebelappen.

Viel schwieriger gestaltet sich die Detoxifikation. Für die Behandlung der zum Taschenmilieu exponierten Implantatoberfläche werden verschiedene Mittel (Listerine Spülungen, Delmopinol, Chlorhexidin-Irrigation, lokale Antibiotika) empfohlen.

Einige Autoren empfehlen die Anwendung von Airflow und auch systemische Antibiotika. Es gibt wenige experimentelle Studien zur Behandlung der Periimplantitis, wobei dabei die Erkenntniss gewonnen wurde, dass Knochenneubildung in Kontakt mit Wurzeloberflächen unter Verwendung von Membranen stattfinden kann. Ob sich aber auf allen exponierten Schraubengängen der Fixturen

neuer osseointegrierter Stützknochen gebildet hat, ist aus den Studien nicht erkennbar. Für die Detoxifizierung der Implantatoberflächen scheint der Air-flow Powder ohne Vorteil. Vor allen diesen Maßnahmen wird als Initialtherapie eine supra- und subgingivale mechanische Säuberung der Implantatoberfläche mit Kunststoffspitzen (gleichgültig, ob Ultraschall und/oder Handinstrumente) empfohlen und eine Politur mit Kelchen und feinkörniger Polierpaste.

 

Eine relativ neue Methode ist die photodynamische Therapie, bei der mit Hilfe von Laser durch Toluidinblau angefärbte Areale gereinigt werden.

 

Bei allen Techniken muss bedacht werden, dass

  • Implantatoberflächen eine besondere Struktur aufweisen, die nicht zerstört werden sollte
  • nur dann eine Heilung erwartet werden kann, wenn die Reinigung/Detoxifikation erfolgreich war
  • eingebrachte Materialien, wie Pulverrückstände, Desinfizienzien, usw. die Knochenneubildung stören können (Beispiel CHX!)
  • anders als bei natürlichen Zähnen die Ausbildung eines überlangen Saumepithels nicht erwartet werden kann
  • der Knochenverlust zu einer oftmals intolerablen Schwächung führen kann.

 

In jedem Falle muss man eine bakterienfreie submukosale Oberfläche herbeiführen und wenn möglich eine mechanische Stärkung, z.B. durch Einbringung von augmentativem Material. Insbesondere die spezifischen Implantatoberflächen gilt es zu schonen, da andernfalls eine Osseointegration nicht mehr erwartet werden kann. Dabei sollte auch bedacht werden, dass die heute stark strukturierten Oberflächen per se eine dem Scaling ähnlichen Reinigung nicht zugänglich sind. Deshalb tendieren viele Forscher dazu, die exponierten Oberflächen mit CHX oder anderen Bakterien tötenden Lösungen zu spülen, mit insgesamt eher bescheidenem Erfolg. Auch kombinierte Anwendungen systemischer (Amoxicillin/Metronidazol) und lokaler Oberflächenreinigung zeigten Misserfolge. Einige Erfolge wurden berichtet bei langandauernder lokaler Antibiotikatherapie (Depots mit Retardwirkung), z.B. mit Tetracyclin HCL eingebracht mittels spezieller Fäden (Actisite).

Es kristallisiert sich heraus, dass es kein Standardschema für die Therapie gibt, wobei die beste Therapie die Prävention sein dürfte.

 

/// Fazit

Es ist keine Lösung für die Patienten, wenn Zähne wegen vielleicht für zu aufwendig gehaltener Erhaltungstherapie extrahiert und durch Implantate ersetzt werden.

 

Falls Extraktionen tatsächlich unvermeidbar sind, ist der Patient unbedingt darüber zu informieren, dass

  • Implantate nicht die bessere ultimative Lösung sind (wie oftmals fälschlich angenommen)
  • Implantate einer noch besseren Pflege bedürfen als natürliche Zähne, also der häuslichen Prophylaxe besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist
  • Patienten mit einer Parodontitisgeschichte besondere Risiken zeigen
  • ein besonders enger Recall unabdingbar für den Langzeiterfolg ist und
  • eine Periimplantitis trotz derzeit noch unklarem Therapieprotokoll nicht „unheilbar“ ist. Die Therapie der Periimplantitis beginnt bereits bei der Implantatplanung!