Mit der neuen Richtlinie zur systematischen Behandlung der Parodontitis wurde die parodontologische Versorgung im Juli 2021 auf eine neue Grundlage gestellt. Die Inhalte der neuen Richtlinie orientieren sich dabei an den wissenschaftlichen S3-Leitlinien und der neuen Klassifikation für parodontale Erkrankungen – so fügt sich zusammen, was zusammen gehört! Ein wissenschaftliches Konzept also, das die „sprechende Zahnmedizin“ in der Parodontitistherapie mit entsprechenden Abrechnungspositionen erstmals in die GKV-Versorgung überführt.
Heike Wilken
Parodontale Erkrankungen sind nach wie vor die Hauptgründe für den Verlust von Zähnen bei Erwachsenen. Nach Schätzungen der DGParo sind allein in Deutschland fast 11 Millionen Erwachsene von einer parodontalen Erkrankung betroffen.
Alles beginnt mit dem Parodontalen Sreening Index (PSI) – schnell und einfach anzuwenden. Er ermöglicht es, bereits frühe Formen von Zahnbetterkrankungen zu erfassen, was die erfolgreiche Behandlung erleichtert. Wichtig hierbei ist, dass jeder Zahn mindestens an 6 Stellen sondiert wird, um alle Werte zu erfassen und den Patienten richtig einschätzen zu können.
Der folgende Fallbericht gibt einen Überblick, wie man Patienten durch die neue PAR Strecke begleiten kann.
/// Fallbericht
Eine 39-jährige Patientin stellte sich erstmals am 14.07.2021 bei uns in der Praxis vor. Die Patientin wurde von ihrem Hauszahnarzt mit der Bitte um Weiterbehandlung zu uns überwiesen.
In der allgemeinen Anamnese gab die Patientin an, dass sie keine Medikamente regelmäßig einnimmt und aktuell keine Erkrankungen vorliegen. Allerdings raucht die Patientin ca.20 Zigaretten pro Tag. Es wurde zunächst ein 01 Befund und ein PSI erhoben. Der PSI ergab in allen Sextanten Grad 3 und 4.
In der nächsten Sitzung wurde der Parodontalstatus aufgenommen. Folgende Parameter wurden erhoben:
– Sondierungstiefe an 6 Stellen pro Zahn
– Gingivaverlauf an 6 Stellen pro Zahn
– BOP / Suppuration
– Beweglichkeit
– Furkation
Der Antrag für die Parodontale Therapie wurde gestellt.
Diagnose: Parodontitis
Staging: Stadium 4
Grading: Grad C
- ATG – Aufklärendes Therapiegespräch
In derfolgenden Sitzung wurde das ATG (Aufklärende Therapie Gespräch) von meinem Chef durchgeführt. Dieses umfasst eine Beratung über folgende Aspekte:
Befund und Diagnose:
– Erörterung der Therapie und deren Bedeutung.
– Gemeinsame Entscheidungsfindung über die nachfolgende Behandlung einschließlich der UPT.
– Gesundheitsbewusstes Verhalten z.B. Rauchverhalten. Die Patientin gab an, ihr Rauchverhalten nicht einschränken zu wollen.
– Wechselwirkungen von Parodontitis und anderen Erkrankungen.
- AIT (Antiinfektiöse Therapie) und MHU (Patientenindividuelle Mundhygieneunterweisung)
Im zeitlichen Zusammenhang mit der AIT erfolgte die individuelle Mundhygieneunterweisung.
Als erstes wurde der Gingivaindex erhoben, er lag bei 25 %. Nach der nun erfolgten Abfärbung der Plaque wurde der API mit 80% erhoben. Meiner Patientin war gar nicht bewusst, wie groß die Entzündungsfläche in Ihrer Mundhöhle ist. Die Dimension wurde ihr deutlich, als ich mit dem Programm ParoStatus.de die Entzündungsfläche proportional auf einer Hand visualisierte, eine Steilvorlage für die Motivation. Bei der Motivation kommt es besonders darauf an, dass der Patient von Beginn an mit einbezogen wird. Ziel ist es, dass er Eigenverantwortung für den Behandlungserfolg übernimmt. Nur ein gut aufgeklärter und überzeugter Patient, der die Befunde und Konsequenzen versteht und akzeptiert, wird dauerhaft mitarbeiten. Dabei arbeite ich gerne mit visuellen Hilfsmitteln, da ich die Erfahrung gemacht habe, dass die Patienten die Situation dann viel besser verstehen.
Meine Patientin verwendete bereits eine Schallzahnbürste, da war es wichtig, den richtigen Anstellwinkel und die richtige Systematik zu instruieren. Als nächstes habe ich die passenden Zahnzwischenraumbürstchen für die interdentale Reinigung ausgewählt und im Zahnschema dokumentiert. Bei der Zahnpasten Empfehlung achte ich besonders darauf, dass die Wirkstoffe in der Paste den individuellen Problemen des Patienten angepasst sind.
Die anschließende AIT erfolgte in 2 Sitzungen. In der ersten Sitzung wurde der 1.und 4. Quadrant bearbeitet und in der 2. Sitzung der 2. und 3. Quadrant. Danach wurden alle Glattflächen mit einer selbstreduzierenden Polierpaste poliert.
- Mundhygieneempfehlung
Die individuell ausgewählten Mundhygieneprodukte habe ich für meine Patientin in der Prophylaxe – App zusammengestellt. Die Zahnputztechnik, die Putzsystematik und die Anwendung der Zahnzwischenraumbürstchen werden als kleines Video in der App dargestellt, so dass die Patientin sich alle Informationen Zuhause in Ruhe ansehen kann. Natürlich ist klar, dass nach einer langen anstrengenden Sitzung die vielen neuen Informationen erstmal verarbeitet werden müssen und sicher noch einmal angesprochen bzw. geübt werden müssen.
- 111 – Nachbehandlung
Nach 1 Woche bestellte ich die Patientin zur P111 ein. Alle behandelten Zähne wurden kontrolliert. Da noch ein paar Schwachstellen in der Unterkiefer-Front zu sehen waren, habe ich die Zähne angefärbt. Ansonsten kommt die Patienten mit der Mundhygiene so weit gut zurecht. Es wurden alle Zähne poliert.
- PPT (Präventive Professionelle Therapie)
Mit der neuen PAR-Strecke entfällt die Vorbehandlung. Von daher ist es wichtig, zu Beginn die Zeiträume zwischen den Sitzungen möglichst kurz zu halten. Der Abstand von der P111 bis zur Bev a und UPT würde gem. PAR-Strecke ungefähr 3 Monate betragen, dieser Zeitraum ist einfach zu lang. Um meine Patientin effektiv auf ihrem Weg zu begleiten, ist es mir wichtig, zu sehen, ob sie mit den Empfehlungen gut zurechtkommt und diese auch gut umsetzen kann. Von daher kommt meine Patientin in 4 Wochen zur PPT – die wir vorher als private Leistung vereinbart haben.
- UPT – Unterstützende Parodontaltherapie
7 Wochen später ist die BEV a und die UPT geplant. Danach wird die Patientin alle 3 Monate zur UPT (Unterstützende Parodontaltherapie) und PPT (Präventive Professionelle Therapie) bestellt – also in diesem Fall 4 mal pro Jahr.
/// Fazit
Die neue PAR-Strecke ist ein wichtiger Schritt, allen Patienten die PAR-Therapie zugänglich zu machen. Anders als bisher beginnen wir anstatt mit den privat zu berechnenden Vorbehandlungen nun mit ATG, MHU und AIT. Im weiteren Verlauf muss man individuell sehen, in welchen Zeitspannen der Patient eventuell noch zusätzliche PPT-Sitzungen (Präventive Parodontal Therapie) benötigt. Denn nur auf dieser Basis kann man den parodontal erkrankten Patienten den langfristigen Erhalt seiner Zähne und somit auch den Schutz seiner Allgemeingesundheit ermöglichen.
– AUTORIN
Heike Wilken
Dentalhygienikerin
– KONTAKT
Deutsche Gesellschaft für DentalhygienikerInnen (DGDH) e.V.
Fasanenweg 14
48249 Dülmen
Internet: www.dgdh.de