Es ist später Nachmittag – Sie führen gerade einen Routineeingriff bei einem 67-jährigen Patienten durch. Dieser ist kooperativ, aber aufgrund von Angst bei Zahnarztterminen nervös. Sie entfernen eine alte Krone im Oberkiefer und dabei löst sich ein Teil des Materials und verschwindet im Rachen des Patienten.
Tizian Gaßner
Zunächst beginnt der Patient zu husten, innerhalb weniger Sekunden entwickelt sich der Husten in eine akute Atemnot und die Lippen färben sich bläulich – erste Anzeichen einer Zyanose.
Der Praxisalltag ist nun unterbrochen; Sie haben nun einen Patienten mit einem akuten medizinischen Notfall in ihrem Behandlungsraum. Dieser ist darauf angewiesen, dass Sie und Ihr Team genau wissen, was nun zu tun ist.
/// Begriffsdefinition Aspiration und Bolusgeschehen
Von einer Aspiration spricht man, sobald ein Fremdkörper, egal ob flüssig oder fest, unterhalb der Glottis in die Trachea eingeatmet worden ist. Bei der Aspiration handelt es sich dabei um das reine Eindringen des Fremdkörpers in die Trachea. Bei einem Bolusgeschehen, welches die ausgeprägteste Form der Aspiration ist, wird die Trachea teilweise oder komplett verschlossen. Dieser Verschluss kann durch den Patienten nicht selbst abgehustet werden1.
/// Vorkommen und Risikofaktoren
Die meisten Fremdkörperaspirationen ereignen sich im Kleinkindalter, meist im Alter unter sechs Jahren. Oft handelt es sich um Gegenstände, die aus Neugier heraus in den Mund gesteckt und dann verschluckt werden. Aber auch Lebensmittel, wie Nüsse, Kernobst oder Weintrauben bärgen eine Aspirationsgefahr.
Eine Aspiration bei Erwachsenen geschieht meist aufgrund einer anderen vorausgehenden Erkrankung oder Einschränkung. Für Aspirationen gefährdet sind folgende Personengruppen:
- Intoxikierte Personen
- Vigilanzgeminderte bis hin zu bewusstlosen Personen
- Personen mit Dysphagie, z.B. bei Z.n. Apoplex
- Personen mit geistigen Einschränkungen
In den meisten Fällen ist das aspirierte Gut ungenügend zerkaute Nahrung, Knochenteile oder Tabletten. Aber auch das Verschlucken anderer Fremdkörper, wie in unserem Fallbeispiel der Teil einer Krone, sind möglich2.
/// Symptome der Aspiration und des Bolusgeschehens
Ist ein Fremdkörper in die unteren Atemwege eingedrungen, löst dieser einen Hustenreflex aus, welcher den Gegenstand wieder nach außen befördern soll. Ist dies nicht erfolgreich entwickelt sich aus dem Husten eine Dyspnoe. Diese kann zusammen mit einer Zyanose auftreten. Bei deutlicher Ausprägung der Dyspnoe kann der Patient unruhig sein und Todesangst empfinden. Diese Symptome können durch einen ausgeprägten Würgereflex begleitet werden.
Pathologische Atemgeräusche, wie ein Stridor oder Brodeln (je nach Lage des Fremdkörpers) sind möglicherweise bei einer Auskultation festzustellen.
Bei Vorliegen eines Bolusgeschehens ergibt die Auskultation ein abgeschwächtes bis fehlendes Atemgeräusch. Dies kann je nach Lage des Bolus einen oder mehrere Lungenflügel betreffen.
Als Folge der Dyspnoe kann es im Verlauf zum Bewusstseinsverlust und zu einem hypoxämen Kreislaufstillstand kommen2.
/// Sofortmaßnahmen
Ihr Patient hat nun einen Teil der Krone aspiriert. Instruieren Sie sofort Ihr zahnmedizinisches Hilfspersonal den Rettungsdienst zu alarmieren. Zeitgleich müssen Sie sich nun um den Patienten kümmern.
Im weiteren Vorgehen unterscheidet man nun zwischen sichtbaren und nicht mehr sichtbaren Fremdkörpern und ob der Patient noch bei Bewusstsein ist.
- Vorgehen bei Patienten bei Bewusstsein
Bei sichtbaren Fremdkörpern ist eine manuelle Entfernung durch Greifen des Fremdkörpers mit den Fingern oder einer Magill-Zange möglich. Sobald kein Sichtkontakt möglich ist, wird in mehreren Stufen vorgegangen.
In einem ersten Schritt fordern Sie den Patienten zum Husten auf, sollte er dies nicht bereits als eigenen Reflex auf die Aspiration tun. Bringen Sie dafür den Patienten in eine aufrechte Position.
Ist der Patient noch bei Bewusstsein instruieren Sie ihn in der nächsten Stufe, sich mit dem Oberkörper nach vorne zu beugen. Dann schlagen Sie mit ihrer flachen Hand maximal fünfmal zwischen die Schulterblätter. Bringt auch diese Maßnahme nicht den gewünschten Erfolg führen Sie als letzte Eskalationsstufe des Stufenplans fünf Oberbauchkompressionen durch. Dafür fordern Sie die betroffene Person auf aufzustehen. Sie stellen sich hinter diese und legen Ihre Arme um den Oberbauch. Der Patient soll sich dann nach vorne überlehnen. Eine ihrer Hände formt im Bereich des Oberbauchs (zwischen Bauchnabel und Sternum) eine Faust, die andere Hand zieht die Faust ruckartig nach innen und oben in das Abdomen des Patienten. Diese Kompression kann auch bis zu fünfmal wiederholt werden. Die Maßnahmen können abwechselnd so lange wiederholt werden (5 Schläge auf den Rücken – 5 Oberbauchkompressionen) bis sich der Fremdkörper löst und abgehustet wird, der Patient das Bewusstsein verliert oder die Rettungskräfte eintreffen (siehe Musteralgorithmus Fremdkörperentfernung)2,3, 4
Die Oberbauchkompressionen können alternativ auch in liegender Position durchgeführt werden. Dafür knien Sie sich neben den Patienten oder stellen sich breitbeinig über ihn. Platzieren Sie die Hände ebenfalls im Bereich zwischen Bauchnabel und Sternum und formen sie dabei mit der unteren Hand eine Faust. Die obere Hand drückt die Faust dann in Form von Kompressionen fünfmal in Richtung Zwerchfell5.
- Vorgehen bei bewusstlosen Patienten
Hat der Patient bereits in Folge der Hypoxie sein Bewusstsein verloren starten sie mit den Reanimationsmaßnahmen und versuchen Sie Beatmungen durchzuführen. Achten Sie hierbei darauf, die oberen Atemwege trotzdem durch Überstrecken des Kopfes und ggf. Einführen eines Guedel Tubus freizumachen3.
Musteralgorithmus Fremdkörperentfernung beim Erwachsenen6
Bei einer solchen Aspiration handelt es sich bei dem Vorgehen nach dem xABCDE Schema um ein „A-Problem“. Gibt es hier ein akutes Problem, werden die weiteren Schritte des Schemas erst nach Behebung der Atemwegsverlegung fortgeführt.
Sollte der Patient lediglich leichte Symptome aufweisen und keine Dyspnoe haben ist davon auszugehen, dass er momentan trotz Aspiration ausreichend Sauerstoff bekommt. Damit kann die Aspiration als weniger schwerwiegend eingestuft werden und entspricht nicht einem akuten „A-Problem“. Der Patient wird trotzdem nach dem xABCDE Schema weiter behandelt. Auch sollte das SAMPLER(S)-Schema abgefragt werden.
Weitere Maßnahmen können hier dann, je nach Verfügbarkeit in Ihrer Praxis, sein:
- Basismonitoring: repetitive Auskultation, Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Herzfrequenz, Körpertemperatur
- Gabe von Sauerstoff, adaptiert an die Sauerstoffsättigung mit Zielwert 92-96%
- Betreuung und Beruhigung des Patienten
- Vorbereitung und Anlage eines peripher venösen Zugangs2
/// Weiteres Vorgehen
Sind der Rettungsdienst und Notarzt eingetroffen, werden diese ihre begonnenen Maßnahmen fortführen und intensivieren. Sollten die Bemühungen nach dem Stufenplan bei einem wachen Patienten mit Dyspnoe nicht erfolgreich sein und die Hypoxie oder respiratorische Erschöpfung nehmen zu, wird man sich dazu entscheiden den Patienten zu intubieren und maschinell zu beatmen. Befinden Sie sich bereits in der Reanimationssituation werden Ihre begonnenen Maßnahmen intensiviert werden.
In der klinischen Umgebung wird dann die Lage des Fremdkörpers mittels Bronchoskopie oder einer Röntgenuntersuchung bestimmt werden und dieser bronchoskopisch entfernt werden. Eine prophylaktische Antibiosetherapie zur Vermeidung einer Aspirationspneumonie ist denkbar2.
/// Hilfreiches Material für die Praxis
Wenn Sie Ihre Praxis mit Material für solche Notfälle ausstatten wollen, empfiehlt es sich neben der Grundausstattung, wie Diagnostikmaterial (Blutdruckmanschette, Pulsoxymeter) auch einen Beatmungsbeutel mit Masken, Sauerstoff mit Reservoir-Maske und Verbandmittel vorzuhalten. Ergänzend könnten Sie über Material für die Anlage eines intravenösen Zugangs oder für den Sonderfall der Aspiration über die Anschaffung von Magill Zangen nachdenken.
– AUTOR
Tizian Gaßner
– KONTAKT
Malteser Hilfsdienst e.V.
Diözesangeschäftsstelle München
Streitfeldstraße 1
81673 München
www.malteser.de/standorte/erzbistum-muenchen-freising
Literatur
1Rettungsdienst Factsheets. (2025, März 26). Aspiration / Bolusgeschehen. Rettungsdienst FactSheets. https://rd-factsheets.de/fs/aspiration-bolusgeschehen/
2Frieß, C. (2023). Aspiration. In Retten – Notfallsanitäter (1. Auflage). Thieme. https://doi.org/10.1055/b-006-163295
3Deutscher Rat für Wiederbelebung. (2022). Reanimation 2021: Leitlinien kompakt (B. Dirks, Hrsg.; Überarbeitete Version). Deutscher Rat für Wiederbelebung – German Resuscitation Council e.V.
4Müller, S. (2017). Bolusgeschehen (Bolusverlegung der oberen Luftwege). In S. Müller (Hrsg.), Memorix Notfallmedizin(10., aktualisierte Auflage). Thieme. https://doi.org/10.1055/b-004-132245
5Leschowski, R., & Burmann, L. (2023). Freimachen der Atemwege. In Retten – Notfallsanitäter (1. Auflage). Thieme. https://doi.org/10.1055/b-006-163295
7Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (Hrsg.). (2025). Musteralgorithmen 2025 zur Umsetzung des Pyramidenprozesses im Rahmen des NotSanG.