Praxisalltag meistern zwischen Konvention und Digitalisierung
Umbruch in der KFO: Zwingen neuen Technologien die Kieferorthopäden, sich neu zu erfinden?
Welche Rolle manuelle Fähigkeiten künftig noch spielen
Die Kieferorthopäden zählen sicher zu den Spezialisten, die am häufigsten in Frage gestellt werden. Wo zum Beispiel verläuft die Grenze zwischen medizinisch notwendigen Behandlungen und solchen, die allein der Ästhetik dienen? Aber das ist nicht die einzige Frage, die die KFO-Experten zurzeit bewegt. Sie müssen Antworten darauf finden, welche Bedeutung ihre manuellen Fähigkeiten im modernen Praxisalltag künftig noch haben. Denn neue Technologien und stärkere Digitalisierung zwingen dazu, die bisher geltenden Fachkenntnisse sowie althergebrachte und bewährte Behandlungsmethoden auf den Prüfstand zu stellen.
Natascha Saul
Die Kieferorthopädie ist ein spannendes Feld – keine Frage. Und aktuell auch ein Spannungsfeld. Denn die Digitalisierung stellt die KFO-Spezialisten vor große Herausforderungen. Über Jahrzehnte in dieser Disziplin errungene Fachkenntnisse und erworbene klinische Erfahrungen, die umfassende Ausbildung und die routinierten Abläufe – all das wird zurzeit neu hinterfragt. Der Grund dafür sind neue Technologien und der Einfluss der Digitalisierung, die konventionelle manuelle Fähigkeiten teilweise ergänzen, teilweise aber auch ersetzen (können).
Wann sind bewährte Praktiken gefragt? Wann ist es sinnvoll, auf neue Technik und neue Methoden zu setzen? Wo gibt es Schnittmengen? Damit das Behandlungsniveau state-of-the-Art bleibt und Ergebnisse vorhersagbar, müssen fachliche Kompetenz und technische Finessen zusammengebracht werden. In welchem Umfang und welche Synergien nutzbar sind – das sind die Fragen, auf die in der Praxis Antworten gefunden werden müssen.
/// Im Fokus: Aligner
Zu den digitalen Herausforderungen gesellen sich Entwicklungen, die den Kernbereich der KFO-Kompetenz berühren – und von manch einem Spezialisten womöglich gar als Bedrohung wahrgenommen werden. Die Rede ist von Aligner-Therapien, die zunehmend und praktisch buchstäblich „in aller Munde“ sind.
War die Korrektur der Zahnstellung bisher klar im Behandlungsfeld der Kieferorthopäden angesiedelt, ist die Therapie mit den transparenten Alignern auch durch allgemein praktizierende Zahnärzte möglich. Neben der Diskussion, inwieweit das fachlich sinnvoll ist, hat diese Entwicklung natürlich auch einen wirtschaftlichen Aspekt, der nicht von der Hand zu weisen ist: Der kieferorthopädischen Praxis entgehen mit jeder Korrektur, die außerhalb von Fachpraxen vorgenommen wird, Einnahmen.
/// Diktat der Apparaturen?
Noch ein Punkt, der die Kieferorthopädie beschäftigt, ist der Umgang mit Diagnosestellung, Aufstellung des Therapieplanes und dessen Umsetzung. KFOler sprechen häufig von einer von der Apparatur „diktierten“ Behandlung. Denn die Regel ist immer noch der Einsatz vorgefertigter, nicht-individualisierter Behandlungsbögen wie zum Beispiel Nickel-Titan-Bögen. Zwar zeigen Forschung und Praxis, dass die Form des Unterkieferbogens nicht in größerem Ausmaß verändert und dass Zähne innerhalb des Gleichgewichtsbereichs zwischen internen und externen Kräften bewegt werden sollten.
Und obwohl viele Kieferorthopäden es anstreben, die ursprüngliche Zahnbogenform des Patienten zu erhalten, werde laut des KFO-Experten Dr. Dan Grauer (USA) in der Praxis häufig doch auf die nicht-individualisierte Variante gesetzt. Der Wunsch ist klar: Eine Bewegung wegen von der als Diktat empfundenen Apparatur, hin zur Umsetzung eines problemorientierten Therapieplans inklusive individualisierter Behandlungsapparaturen.
/// Neue Software – neue Praxisroutine?
Diese drei angerissenen Bereiche – Digitalisierung, neue Therapien und der vermehrte Einsatz stärker individualisierter Apparaturen – sind zurzeit Hauptgesprächsthemen in der KFO. Schauen wir der Reihe nach genauer hin, beginnend mit einem der Schlüsselwörter der aktuellen Zahnmedizin: der Digitalisierung. Sie ist allgegenwärtig in jeder Disziplin – sei es bereits praktisch etwa in Gestalt von CAD/CAM-Geräten im Praxisgebrauch oder 3D-Druckern in zahntechnischen Laboren, oder noch theoretisch im Rahmen der Fragestellung, ob und inwieweit sich Investitionen für die eigene Praxis, das eigene Labor in diesem Bereich lohnen.
Im Bereich KFO ist der digitale Fortschritt der Einschätzung von Experten zu Folge mehr als das: Die digitale Kieferorthopädie revolutioniert in vielen Indikationen die Therapieabläufe, hieß es auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) in Nürnberg, die im September mit über 2.800 Teilnehmern einen neuen Besucherrekord aufstellte. Dazu zählen u.a. die Bereiche der ästhetisch indizierten Zahnstellungskorrektur, das Lückenmanagement und die präprothetische Behandlung. Hier können moderne Technologien für bessere Planbarkeit, Vorhersagbarkeit, Reproduzierbarkeit und eine präzisere Verlaufskontrolle sorgen.
/// Support von Erfahrenen
Henry Schein begleitet als einer der führenden Dentalhändler die schrittweise Integration digitaler Technologien und Geräte in den Praxisalltag. Sein Beraterteam ist nah dran an den Praxen und den Herausforderungen, denen die Zahnärzte und Zahntechniker sich stellen müssen. Sie wissen deshalb, dass die flotte Präsentation neuer technischer Möglichkeiten im Rahmen eines Vortrags das eine ist. Das andere ist der tatsächliche Einstieg in die digitale KFO, für den die Praxisteams häufig nicht ausreichend gewappnet sind. Denn konventionelle Abläufe lassen sich oft nicht eins zu eins ablösen von neuen Technologien.
Tatsächlich müsse jeder Prozessschritt neu gedacht werden. Hilfreich ist es natürlich, wenn sich Ärzte und Techniker dabei nicht allein mit der neuen Prozesskette auseinandersetzen müssen, sondern auf die Erfahrungswerte von Experten zurückgreifen können. Diese digitale Kompetenz hält Henry Schein personell vor und bietet umfangreiche Beratungen an, damit die Möglichkeiten der Technik ausgeschöpft werden können. Schwerpunkt der Beratungen sind u.a. Prozessketten und funktionierende Schnittstellen. So lernen Erstanwender, wie sie digitale Bausteine in ihrem Praxisalltag problemlos und erfolgreich einbinden können, sodass Praxis und Patient gleichermaßen profitieren.
/// Intelligente Integration
Zu diesen Bausteinen gehören zum Beispiel das intraorale Scannen, die digitale Modellerfassung, die Modellarchivierung und Modellreproduktion mit Hilfe von 3D-Druckern, die virtuelle Modellanalyse und Behandlungsplanung. Eine neue Software macht gegenwärtig von sich Reden: die Cerec Ortho Software, die das CAD/CAM-System des Herstellers so ergänzt, dass es für kieferorthopädische Indikationen nutzbar ist.
Die vor kurzem auf dem Kongress der American Association of Orthodontists (AAO) in Los Angeles vorgestellte neue Software bietet, unterstützt durch die digitale Abformung, echten Mehrwert: Dazu gehören eine umfangreichere Modellanalyse sowie ein neues Feature zur Behandlungssimulation. Auch im Bereich der Röntgendiagnostik gibt es Neuigkeiten auf dem Markt. 2D- und 3D-Systeme, aber auch Fernröntgen-Aufnahmen stehen aktuell im Fokus (lesen Sie hierzu auch unseren Markt-Überblick).
/// Mit KI in die KFO-Zukunft
Noch einen Schritt weiter in puncto Einsatz moderner Technologien sind bereits Dr. Felix Kunz, Dr. Julian Boldt und Prof. Dr. Angelika Stellzig-Eisenhauer von der Universität Würzburg sowie Florian Zeman von der Universitätsklinik Regensburg. Die vier Wissenschaftler sind für ihre Arbeit „Application of Artificial Intelligence in Orthodontics“ mit dem renommierten Arnold-Biber-Preis ausgezeichnet worden. Der KFO-Forschungspreis würdigt die Idee der Bayern, die künstliche Intelligenz (KI) für Aufgaben in der kieferorthopädischen Diagnostik einzusetzen.
Die Forschergruppe belegte mit ihrer Forschungsarbeit, dass eine maschinelle Bestimmung von kephalometrischen Messpunkten an Fernröntgenseitenbildern (FRS) nicht nur möglich ist, sondern diese auch in der Genauigkeit den von Ärzten bestimmten Punkten in nichts nachsteht. Dazu sind entsprechende Algorithmen auf Basis eines spezialisierten künstlichen neuronalen Netzwerkes erforderlich, die auf eine solche Auswertung trainiert wurden. Zwar sei der Arzt nach wie vor gefordert, aber seine Arbeit wird durch die automatisierte Auswertung erleichtert und (zeit)effizienter.
/// Zukunftsorientierte Zahnkorrekturen
Unbestritten ein intelligentes System bietet auch die Align-Technologie, wenngleich sie etwas weniger futuristisch anmutet. Die neuesten Trends und Entwicklungen wurden kürzlich im Rahmen des Annual European Growth Summit vom US-Unternehmen Align Technology in Berlin präsentiert. Bei der zweiten Auflage des Align-Kongresses stand u.a. das Zusammenwirken von digitaler Technologie und Achtsamkeit im Fokus. Bewährte Marktpraktiken und die zukunftsorientierte Integration neuer Techniken waren ebenso Themen wie aufkommende KFO-Trends, bisherige Patientenerfahrungen und Praxisentwicklung.
Der Gastgeber des Kongresses ist weltweit vor allem bekannt für die transparenten, herausnehmbaren Zahnkorrekturhilfen, die so genannten Aligner, und war 1999 mit der Einführung des Invisalign Systems Pionier auf dem Markt der beinahe unsichtbaren KFO-Schienen. In Kombination mit dem Intraoralscanner iTero hat das System erheblichen Anteil an der Modernisierung der heutigen Praxen. Die digitale Behandlungsplanung und eine gleichsam individuelle, aber auf Massenfertigung ausgerichtete Technologie sind die Grundpfeiler für ein Konzept, was von der Branche als revolutionär bewertet wurde. Jeder weiß, welche Rolle die Aligner längst in der Zahnfehlstellungskorrektur-Therapie spielen. Noch in diesem Jahr wird nach Schätzung des Unternehmens die 7-Millionen-Aligner-Verkaufsmarke erreicht.
/// Der Generalist und die KFO
Von der technischen Seite und den Vorzügen und Nachteilen der Aligner zunächst einmal abgesehen, nimmt diese Technologie einigen Raum ein in den aktuellen KFO-Diskussionen. Im Zentrum der Debatte steht dabei auch immer wieder der Aspekt der Anwendungsmöglichkeiten für die allgemein praktizierenden Zahnärzte. Denn mit Alignern seien klinische Fälle von geringer Komplexität gut therapierbar. Das Behandlungsspektrum für Aligner – sei es in der kieferorthopädischen Fach- oder der Allgemein-Praxis – endet bei schwierigen Situationen mit komplexen Anforderungen. Grundsätzlich können aber Zahnfehlstellungen bis zu sechs Millimeter mit Alignern korrigiert werden.
Dass die Nachfrage so enorm groß ist – weltweit schätzt Align Technology das Potenzial auf ca. 300 Millionen Schienen – liegt laut Verhaltensforschern auch in den digitalen Einflüssen und daraus resultierenden Erwartungshaltungen begründet, denen Konsumenten (bzw. Patienten) heute unterliegen: Geprägt von der Online-Welt erwartet der Kunde (bzw. Patient) mehr und mehr Unmittelbarkeit, Effizienz und Hyperpersonalisierung, also stark auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtete Lösungen.
/// Erweiterung des Praxis-Angebots
Die vollständig digitale Prozesskette der Aligner-Therapie ermöglicht eben auch die Einbindung in die allgemeine Zahnarztpraxis und dort eine Erweiterung des Angebots um ästhetische Zahnkorrekturen. Die logische Konsequenz: Das Potenzial der „Abwanderung“ klassischer KFO-Patienten in die allgemein praktizierenden Praxen mit Aligner-Angebot ist zweifelsohne groß.
Fachlich spricht jedoch nichts dagegen: Zwar hat es einige Jahre gedauert, bis sich die Aligner-Therapie in Deutschland etablieren konnte. Auch die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie war zunächst vorsichtig mit der Bewertung der digital berechneten Korrekturschienen. Mittlerweile gelten die Kunststoffschienen aber als „mindestens für Teilaufgaben“ geeignet bei der Therapie kieferorthopädischer Anomalien. Die Kieferabdrücke können in der Praxis konventionell gefertigt werden. Alternativ kann der digitale Datensatz an einen Aligner-Anbieter gesendet werden – die Berechnung der transparenten Korrekturschiene erfolgt dann auf dessen Basis am Computer.
/// Schnell und schonend
Ist die Fallbeurteilung und die Erstellung des individuellen Behandlungsplanes erfolgt, wird mit Hilfe der präzisen Stereolithografie – einem 3D-Druckverfahren – ein individuelles Aligner-Set für den Patienten gefertigt und in die Zahnarztpraxis geliefert. Der behandelnde Zahnarzt kontrolliert während des gesamten definierten Therapiezeitraums visuell und anhand einer Übersicht der Zahnbewegungen den Therapiefortschritt. Werden Abweichungen vom Therapieplan festgestellt, werden umgehend neue Schienen angepasst.
Die Behandlungsform erlaubt Erfolge binnen weniger Wochen. Die Kombination aus der Schnelligkeit, mit der gewünschte Korrekturen erzielt werden können, mit dem Komfort der Therapie an sich für den Patienten – sie ist sowohl schmerzfrei als eben auch kaum sichtbar –, macht die Exklusivität und wachsende Popularität der innovativen Aligner-Therapie aus.
/// Vorteil „klassische“ KFO
Bei allen Vorzügen der Aligner spricht aber nach wie vor eine ganze Reihe an Gründen für den Einsatz von klassischen Multibrackets. Häufig empfiehlt sich eine Therapie mit verschiedenen Apparaturen – herausnehmbaren und festsitzenden. In vielen Fällen kann es zum Beispiel sinnvoll sein, die Behandlung mit herausnehmbaren Apparaturen zu beginnen und nach Beendigung des Zahnwechsels auf eine festsitzende Multibracket Apparatur umzusteigen. Auf diese Weise kann der Patient von den jeweiligen Vorteilen der einzelnen Apparaturen vollumfänglich profitieren.
/// Stahldraht ade!
Festsitzende kieferorthopädische Behandlungsapparaturen bestehen aus Bändern (Metallringen aus Stahl), Brackets (kleinen Metall-, Keramik- oder Kunststoffplättchen), Drahtbögen, Hilfsteilen sowie zusätzlichen Behandlungs- und Verankerungselementen. Bänder werden mit Befestigungszement auf den Zähnen fixiert, Brackets werden nach Anätzen der Schmelzoberfläche mit Kunststoffkleber befestigt. In die Bänder und Brackets werden dann Regulierungsbögen aus Stahldraht oder Drähte aus anderen Legierungen eingepasst, mit deren Hilfe die Zähne in die richtige Position bewegt werden.
In den vergangenen Jahren sind die Brackets kleiner geworden und die eingesetzten Materialien durch ihre zahnähnliche Farbe weniger auffallend. Auch der zumeist wenig diskrete Stahldraht kann mittlerweile durch weitaus dezentere Materialien ersetzt werden. So stehen für Regulierungsbögen s heute neben Stahldrähten auch sehr flexible Drähte aus Titan-, Molybdän-, Nickel-, Kupfer- beziehungsweise Cobalt-Legierungen zur Verfügung. Mit ihnen können Zahnstellungsänderungen bereits mit sehr schwachen, schonenden Kräften erzielt werden.
Ob die klinische Situation für eine Aligner-Therapie spricht oder ob der Einsatz festsitzender Apparaturen angezeigt ist, entscheidet der Behandler nach Auswertung der diagnostischen Unterlagen je nach Ausprägung und Art der Zahnstellungs- und Kieferanomalie, Alter, Gebissreife, Wachstumsfortschritt, Kooperationsbereitschaft und Mundhygienegepflogenheiten des Patienten. Grundsätzlich fällt die Wahl auf festsitzende Apparaturen meist dann, wenn es im bleibenden Gebiss ausgeprägte Fehlstellungen zu korrigieren gilt, sowie im Rahmen einer prächirurgischen oder präprothetischen Therapie.
/// Individuelle Apparaturen
Weshalb zurzeit immer lauter der Bedarf an individuellen Apparaturen diskutiert wird, liegt an der Schere, die nach Meinung vieler Praktiker zwischen den definierten Behandlungszielen und deren Erreichen aufklappt. Tatsächlich gebe es immer wieder Abweichungen von den Zielen zu beobachten, deren Ursache maßgeblich in nicht individuellen Apparaturen ausgemacht wird. „Jeglicher Mangel an Individualisierung der eingesetzten Apparaturen muss durch weitergehende klinische Kenntnisse und Fähigkeiten des Behandlers ausgeglichen werden, um einer längeren aktiven Behandlungszeit und/oder einem kompromissbehafteten Behandlungsergebnis entgegenzuwirken“, kritisiert etwa Dr. Dan Grauer (USA).
Er plädiert deshalb für proaktiv gestaltete Prozesse, bei denen zu Beginn die optimale Position jedes Zahnes im Einzelkiefer sowie die optimale Okklusion und Artikulation digital definiert werden. Auf Basis dieses Set-Ups wird dann ganz individuell die Apparatur hergestellt. Alle Zahnbewegungen können dann regelmäßig mit dem Behandlungsplan abgeglichen und kritische Parameter wie eine etwaige Expansion überprüft werden. Daraus resultieren bessere Bracket-Positionen, eine bessere Kontrolle über die Zahnbewegungen sowie vor allem über den finalen Zahnbogen.
/// Richtiger Biss für mehr Biss
Wie wichtig die Korrektur von Fehlstellungen und das Erreichen einer optimalen Okklusion nicht nur in puncto Ästhetik, sondern auch für das Gesamtwohlbefinden des Menschen ist, zeigt sich beim Stichwort CMD. Eine Kiefergelenk-Dysfunktion kann Auswirkungen auf den ganzen Körper haben. Beckenschiefstände und Beinlängendifferenzen sind häufige Folgen. Eine falsche Kieferstellung führt meistens auch zu Fehlbelastungen einzelner Muskelgruppen, die wiederum Schmerzen im Rücken, im Nacken sowie Kopfschmerzen auslösen können.
Je früher, desto effektiver kann behandelt werden. Die Korrektur der kraniomandibulären Dysfunktion erfolgt in der Regel durch die Schienentherapie. ndividuell angefertigte Spezialapparaturen, wie die COPA für den Unterkiefer, bringen die Zähne in die ideale Biss-Situation, wodurch Fehlbelastungen der Zähne ausgeglichen, Muskelverspannungen vermindert und Schmerzen vermieden werden können.
/// Streitpunkt GOZ
Immer wieder Streitthema ist die Abrechnung. Denn die Gebührenreform von 2012 griff nicht weit genug. Speziell in dem Bereich Funktionsanalyse und -therapie finden sich die Weiterentwicklungen bei klinischen und apparativen Techniken in der GOZ nicht wieder. Das betrifft u.a. die manuelle Strukturanalyse, die neuromuskulären Funktionsanalysen, die Tests zur Identifizierung orthopädischer oder psychosomatischer Kofaktoren und das CMD-Screening.
Das CMD-Screening ist eine Risikountersuchung und dient der Einschätzung, wie groß die Wahrscheinlichkeit der Diagnosestellung einer kraniomandibulären Dysfunktion ist. Da das Screening nicht in der GOZ beschrieben ist, kann die Berechnung nur über das Analogverfahren nach § 6 Abs. 1 GOZ erfolgen. Es handelt sich um eine selbstständige zahnärztliche Leistung.
/// Stabilität der Therapieergebnisse
Viele Experten sind sich einig, dass der Weg zu gewünschten klinischen Ergebnissen nur über exakte Diagnosestellung und individuelle Therapien führt – unabhängig davon, ob es um KFO oder CMD geht. Das wurde auch beim Jahreskongress der DGKFO deutlich. Die mittel- und langfristige Stabilität eines kieferorthopädischen Behandlungsergebnisses sei schon seit Anbeginn der KFO-Therapie eine der wichtigsten Fragestellungen, ließ Tagungspräsident Professor Dr. Dr. Peter Proff (Universität Regensburg) bereits im Vorfeld verlauten. Die Sicherung des erreichten Ergebnisses rückte er deshalb neben einigen weiteren aktuellen Themen in den Fokus der Tagung.
Denn das größte Problem der Kieferorthopädie lege häufig nach wie vor in der Retention. „Es gilt, von Behandlungsbeginn an immer das Ende der Behandlung im Auge zu behalten“, so Proff. Deshalb hatte er verschiedene Referenten geladen, die mit Fallbeispielen und Langzeitstudien zum Austausch unter den Teilnehmern aufriefen. Ein Schlüsselwort lautet auch hier: Digitalisierung. Die Lösung komplexer Problemstellungen sei dank zahlreicher Weiterentwicklungen zuverlässig möglich. Und auch langfristig vorhersagbar, so Proff: „Die Fortschritte der modernen Bildgebung liefern inzwischen ausgezeichnete Planungs- und Therapiekontrollmöglichkeiten.“
N/S
Marktübersicht
Das Angebot an KFO-Materialien, neuen Geräten und neuer Software wächst. Welche Besonderheiten und Neuheiten eine nähere Prüfung lohnen, stellen wir Ihnen im Folgenden vor.
Mit der Einführung der Cerec Ortho Software ist das CAD/CAM-System von Dentsply Sirona jetzt auch für kieferorthopädische Indikationen nutzbar. Das aktuelle Software-Release bietet dem Anwender – unterstützt durch die digitale Abformung mit der Primescan – einen deutlichen Mehrwert: Dazu gehören eine umfangreichere Modellanalyse sowie ein neues Feature zur Behandlungssimulation.
Interessant für das Beratungsgespräch mit Patienten: Die Zahnspangen-App Build-a-Brace von Dentaurum eignet sich als innovatives Beratungstool für die moderne kieferorthopädische Praxis. Patienten können damit testweise ihre eigene Zahnspange am Smartphone oder Tablet designen. Das Design lässt sich dann direkt ans Dentallabor weiterleiten. Die App ist kostenlos im App Store oder bei Google Play erhältlich.
Invisalign® Go von Aligner Technology ermöglicht es Zahnärzten, mehr Patienten zu behandeln. Mit einer innovativen Technologie für transparente Aligner wurde ein Ansatz entwickelt, mit dem ästhetisch orientierte Behandlungen unter genauer Anleitung durchführbar sind.
Bildunterschriften
01: Kieferorthopädische Behandlungen können Fehlstellungen beheben. Das ist oft nicht nur ein Gewinn für die Ästhetik, sondern auch für das gesamtkörperliche Wohlbefinden des Patienten – Stichwort CMD. Schon im Kindesalter sollte regelmäßig kontrolliert werden, ob Maßnahmen sinnvoll sind (Foto: Anemone/Pixabay).
02: Lücken schließen? Wenn Diastema stören, kann eine KFO-Behandlung angezeigt sein. Die klassische Schienentherapie kann heute fast unsichtbar sein – zum Beispiel mit der Lingualtechnik (Foto: Giulia Marotta).
03: Der richtige Biss für mehr Biss: Moderne kieferorthopädische Therapien haben nicht nur die Zahnstellung im Blick, sondern auch die optimale Okklusion (Foto: Lion Five/Pixabay).
04: Neue Software Cerec Ortho, mit der gemeinsam mit dem Patienten direkt am Stuhl die klinische Situation durchgespielt werden kann (Foto: Dentsply Sirona).
05: Unsichtbare Korrektur mit Hilfe von transparenten Kunststoffschienen, so genannten Aligern (Foto: Align Technology).
06: Aber auch die klassische Therapie mit Multibrackets ist nach wie vor eine der häufigsten Methoden zur Korrektur von komplexen Zahnfehlstellungen (Bild: Mudassar Igbal).
KZBV begrüßt Empfehlung als wichtigen Schritt zum Erhalt der Mund- und Allgemeingesundheit in Deutschland
In seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) ist der Bundesrat den Empfehlungen seines Gesundheitsausschusses gefolgt und fordert, die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Behandlungsstrecke aus der zahnärztlichen Budgetierung herauszunehmen.
Der Vorsitzende des Vorstandes der KZBV begrüßte die Entscheidung der Länderkammer: „Gemeinsam mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen haben wir unsere Vorschläge zur Verbesserung des Gesetzes an die Länder adressiert, um eine präventionsorientierte Parodontitis-Therapie weiterhin zu ermöglichen und im Sinne des Patientenwohls Leistungskürzungen zu vermeiden. Dass der Bundesrat heute Änderungen am GKV-FinStG empfiehlt, ist ein richtiges und wichtiges Signal für das weitere Gesetzgebungsverfahren.“
Dr. Wolfgang Eßer verdeutlicht noch einmal, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form tief greifende Negativfolgen für die Mund- und Allgemeingesundheit hätte. „Insbesondere die neue Versorgungsstrecke für die wissenschaftlich abgesicherte Behandlung der Volkskrankheit Parodontitis wäre von den geplanten Regelungen betroffen und stünde faktisch vor dem Aus. Und das, obwohl die mit Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses und unter Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums erst im Juli 2021 eingeführte präventionsorientierte neue Parodontitis-Therapie von allen Beteiligten als „Quantensprung“ für die Prävention begrüßt worden war.“
Die im GKV-FinStG vorgesehene Budgetierung und Deckelung der Ausgaben hätte in der vorliegenden Fassung zur Folge, dass begonnene Parodontitis-Behandlungen zu Teilen nicht zu Ende geführt und neue Behandlungen nicht begonnen werden könnten.
Unbehandelt ist Parodontitis die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust. Daneben sind Wechselwirkungen mit Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, demenziellen Erkrankungen, Frühgeburten sowie schweren Covid-Verläufen wissenschaftlich nachgewiesen. „Das GKV-FinStG droht den neuen Versorgungsansatz bei der Parodontitis-Therapie im Keim zu ersticken“ so Esser.
„Noch können die weitreichenden Auswirkungen des GKV-FinStG auf die Parodontitisbehandlung von Millionen von gesetzlich Versicherten vermieden werden, die so sicher bei der Entwurfserstellung nicht gesehen wurden. Dadurch können spätere Belastungen für das Gesundheitssystem insgesamt reduziert werden, denn die Kosten einer einmaligen Behandlungsstrecke sind am Ende gar nicht mehr mit den Belastungen für das GKV-System durch Kosten möglicher Behandlungen für Langzeiterkrankungen in Relation zu setzen“.
Eßer betonte: „Das im Gesetz vorgesehene Mittel der Budgetierung und Deckelung ist grundsätzlich nicht zielführend, Kosteneinsparungen ohne Leistungskürzungen werden damit nicht realisiert. Der Berufsstand hat in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, dass es auch ohne Deckelung nicht zu einer Explosion der Behandlungskosten kommt – im Gegenteil: Der Anteil zahnärztlicher Leistungen an den Gesamtkosten der GKV ist kontinuierlich gesunken. Der Gesetzgeber erkennt die Bedeutung von Prävention an, die Bundesregierung hat sich dies sogar im Koalitionsvertrag als Leitgedanke auf die Fahnen geschrieben. Das stimmt allerdings überhaupt nicht mit dem überein, was das GKV-FinStG in seiner jetzigen Form zur Folge hätte. Deshalb muss die Parodontitisbehandlung extrabudgetäre Leistung werden.“
– KONTAKT
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) Universitätsstraße 73
50931 Köln
Telefon: 0221/40 01-0
Telefax: 0221/40 40 -35
E-Mail: post@kzbv.de
Internet: www.kzbv.d e