Urlaub vom Urlaub gibt es nicht mehr – BAG ändert Rechtsprechung

Das Thema Urlaub spielt bekanntlich eine zentrale Rolle im Arbeitsverhältnis und beschäftigt auch immer wieder Zahnarztpraxen. Wie viele Urlaubstage werden gewährt? Können nicht genommene Urlaubstage auf das nächste Kalenderjahr übertragen werden? Was passiert mit dem Urlaub im Falle längerer Arbeitsunfähigkeit oder Schwangerschaft? Wie berechnet sich das Urlaubsentgelt? Der für Urlaubsfragen zuständige 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hatte sich nun in einer jüngeren Entscheidung mit der Frage zu beschäftigen, ob im Falle von gewährtem unbezahlten Sonderurlaub der vertraglich vereinbarte Jahresurlaub trotzdem noch zusätzlich zu gewähren ist. Das höchste Arbeitsgericht kommt zu dem Ergebnis, dass kein weiterer Urlaubsanspruch entsteht. Die Gründe hierfür gehen schon mal in die richtige Richtung und könnten daher auch für Zahnarztpraxen wegweisend sein.

Jennifer Jessie

 

/// Rechtlicher Hintergrund

Nach § 1 BUrlG haben Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Der Urlaubsanspruch hängt damit in erster Linie vom Bestand des Arbeitsverhältnisses ab. Für den vollen Urlaubsanspruch muss zudem die Wartezeit von 6 Monaten erfüllt worden sein, § 4 BUrlG. Die Dauer des gesetzlich vorgesehenen Mindesturlaubs ergibt sich aus § 3 BUrlG. Bei einer 6-Tagewoche sind dem Arbeitnehmer mindestens 24 Urlaubstage pro Kalenderjahr zu gewähren. Bei einer 5-Tagewoche sind es 20 Urlaubstage pro Kalenderjahr, bei 4 oder weniger Arbeitstagen pro Woche anteilig entsprechend weniger. Der Urlaubsanspruch berechnet sich also nach der vereinbarten Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage.

 

Wie berechnet sich nun der vereinbarte Urlaubsanspruch, wenn ein Arbeitnehmer wegen eines gewährten Sonderurlaubs (Sabbatical) von seiner Pflicht zur Erbringung der Arbeitspflicht über länger Zeit freigestellt ist? Ist über den Sonderurlaub hinaus noch der vertragliche Urlaub zu gewähren?

 

/// Bisherige Rechtsprechung

Das BAG hatte im Jahre 2014 (Urteil v. 06.05.2014, Az. 9 AZR 678/129)noch entschieden, dass die Gewährung von Sonderurlaub nicht zu einer anderen Berechnung und damit keiner anderen Beurteilung im Hinblick auf den vertraglich festgelegten Jahresurlaubsanspruch führte.Im diesem konkreten Fall hatte eine Pflegerin geklagt. Sie hatte vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2011 und später bis zum 30. September 2011 Sonderurlaub gewährt bekommen und forderte im Anschluss von ihrer Arbeitgeberin das Entgelt für 15 gesetzliche Urlaubstage, die sich aus der Phase des Sonderurlaubs berechneten und in diesem Zeitraum entstanden waren. Das BAG gab der Pflegerin damals Recht. Es begründete seine Entscheidung damit, dass alleine das Bestehen des Arbeitsverhältnisses Voraussetzung für das Entstehen eines Urlaubsanspruchs nach §§ 1, 3 BUrlG sei. Der Umstand, dass in Wahrheit die Arbeitsleistung nicht erbracht worden war, führe nicht zu einer Umrechnung der gewöhnlichen Arbeitszeit auf „Null“. Die Arbeitspflicht sei nicht endgültig aufgehoben, sondern durch den Sonderurlaub erfolge nur eine Freistellung. Eine Freistellung könne aber nur von einer Arbeitsleistungspflicht erfolgen, die an sich fortbestehe. Da der Urlaubsanspruch an die Arbeitsleistungspflicht anknüpfe und diese fortbestehe, stand der Pflegerin der Anspruch auf Auszahlung des Urlaubsentgelts zu.

 

/// Neues Urteil

Der 9. Senat des BAG hat mit Urteil vom 19.03.2019 (AZ: 9 AZR 315/17) klargestellt, dass es an seiner bisherigen Rechtsauffassung nicht mehr festhält. In diesem Fall hatte eine Tarifangestellte vom 1. September 2013 bis letztlich zum 31. August 2015 unbezahlten Sonderurlaub gewährt bekommen und verlangte nach ihrer Rückkehr den Erholungsurlaub für das gesamte Jahr 2014 ein. Diesem Begehren wurde nun eine deutliche Absage erteilt.

 

Diesmal begründete das BAG seine Entscheidung mit Verweis auf die in § 3 BUrlG geregelte Berechnung von Urlaubstagen. Die Anzahl der jährlich zu gewährenden Urlaubstage richtet sich nach der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage. Sofern ein Arbeitnehmer allerdings unbezahlten Sonderurlaub nimmt, ist nun zu berücksichtigen, dass die Hauptleistungspflichten zwischen den Arbeitsvertragsparteien vorübergehend ausgesetzt werden. Das führt dazu, dass einem Arbeitnehmer für ein Kalenderjahr, in dem er sich durchgehend im unbezahlten Sonderurlaub befindet, mangels einer Arbeitspflicht kein Anspruch auf Erholungsurlaub entstehen könne und daher nicht zusteht. Dies ergibt sich daraus, dass Urlaub ein Ausgleich für die Arbeitsbelastung darstellen solle, wie sich bereits aus dem Wort „Erholungsurlaub“ ergebe. Das BAG verwies entscheidend auch auf die Gesetzesbegründung von 1962 zum Entwurf des Bundesurlaubsgesetzes, wonach der Mindesturlaub„der Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft diene. Mit der in § 3 Abs. 1 BUrlG vorgesehenen Mindestanzahl von Urlaubstagen solle angesichts einer gestiegenen „Arbeitsbelastung der Menschen in der modernen Wirtschaft“ dem „Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer … Rechnung getragen“ werden (BT-Drs. IV/785 S. 1 f.). Das Ziel, es dem Arbeitnehmer durch Urlaubsgewährung zu ermöglichen, sich zu erholen, setzt voraus, dass der Arbeitnehmer verpflichtet war, eine Tätigkeit auszuüben. Dementsprechend verpflichtet § 8 BUrlG den Arbeitnehmer, während des Urlaubs keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit zu leisten.“ (Hervorhebung durch Verfasserin)

 

Die Entscheidung zeigt, dass das BAG sich maßgeblich (wieder) an den Ursprungsgedanken und Sinn und Zweck des Urlaubsanspruchs orientiert, der mit dem gesetzlich gewährten Mindesturlaub vorgesehen war. Ein Erholungsurlaubsanspruch kann gerade dann nicht entstehen, wenn keine Arbeitspflicht bestand, die diese Erholungszeit zum Schutz des Arbeitnehmers erst begründet.

 

/// Auswirkungen auf die Zahnarztpraxen?

Die neuere Entscheidung ist deswegen interessant, weil gerade im Zusammenhang mit Beschäftigungsverboten während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie im Falle von Elternzeit insbesondere von angestellten Zahnärztinnen Zahnarztpraxen immer wieder mit der Situation konfrontiert werden, was mit dem Urlaubsanspruch der Mitarbeiterinnen in dieser Zeit passiert und wie hiermit umzugehen ist. Die Frage stellt sich erst Recht, wenn Mitarbeiterinnen nach der Geburt ihres Kindes, sei es aus persönlichen, fachlich oder sonstigen Gründen, doch gar nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und das Arbeitsverhältnis beendet wird. Offene Urlaubsansprüche müssen grundsätzlich finanziell abgegolten werden.

 

Im Falle der Elternzeit steht den Arbeitgebern von Gesetzes wegen ein Kürzungsrecht im Hinblick auf zu gewährende Urlaubstage nach § 17 Abs. 1 BEEG zu. Im Falle von Beschäftigungsverboten nach dem MuSchG ist das (bisher) nicht ausdrücklich vorgesehen. Vielmehr hat der Gesetzgeber sogar normiert, dass Ausfallzeiten eines Beschäftigungsverbots grundsätzlich als Beschäftigungszeiten angesehen werden (§ 24 MuSchG). Demnach soll auch und gerade im Falle eines Beschäftigungsverbots in der Stillzeit der Urlaubsanspruch weiter entstehen, ohne dass Praxisinhaber wie im Falle der Elternzeit eine Kürzungsmöglichkeit haben. Dies kann gerade aufgrund der guten Verdienstmöglichkeiten von angestellten Zahnärzten verheerende finanzielle Folgen für die Praxis haben.

 

Der Senat hat am Ende seiner Entscheidung vom März 2019 tatsächlich betont, dass seine neu aufgestellten Grundsätze nicht ohne Einschränkung gelten: Eine andere Berechnung kann durch entgegenstehende gesetzliche Bestimmungen, unionsrechtliche Vorgaben sowie nach § 13 BUrlG zulässige kollektivrechtliche oder vertragliche Vereinbarungen veranlasst sein.“ Das BAG verwies dabei auch auf Fälle der Arbeitsunfähigkeit, des Mutterschaftsurlaubs sowie auch auf das Beschäftigungsverbot nach dem MuSchG.

 

Es ist nicht davon auszugehen, dass das BAG nicht den für Zahnarztpraxen relevanten Fall vor Augen hatte. Gerade angestellte Zahnärztinnen ziehen in der Regel aus finanziellen Gründen ein Beschäftigungsverbot während der Stillzeit seitens des Arbeitgebers vor, anstatt Elternzeit zu beantragen. Folge: Während eines Beschäftigungsverbots ist eine Mutter aufgrund des Mutterschutzlohnes unter voller finanzieller Absicherung von der Arbeitspflicht freigestellt; sie kann sich frei bewegen und sogar auch in Urlaub fahren. Der Urlaubsanspruch entsteht aufgrund der Annahme, dass die Ausfallzeit als Beschäftigungszeit geregelt wurde, in der Zeit trotzdem und ist nach dem Beschäftigungsverbot daher vollständig zu gewähren oder im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sogar finanziell abzugelten. Es wird deutlich, dass eine Mitarbeiterin damit sogar deutlich besser gestellt wäre, als wenn sie gearbeitet hätte oder sich für die Elternzeit entschieden hätte. Diese Überpriviligierung und Übersicherung war von Gesetzes aber nicht vorgesehen und wurde vom BAG nicht berücksichtigt.

 

Sofern das BAG sich am Ende seiner Entscheidung also etwas einschränkend zu seinen Entscheidungsgründen im Hinblick auf andere Fallkonstellationen äußerte, lässt es gleichwohl hoffen. Die Instanzgerichte werden sich zukünftig jedenfalls an der Tendenz des BAG, den Erholungszweck bei der rechtlichen Bewertung von Urlaubsansprüchen wieder in den Vordergrund zu stellen, berücksichtigen müssen, sofern das Gesetz selbst noch kein Abhilfe schafft. Denn nur dann kann für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitnehmerrechten und Arbeitgeberpflichten gesorgt werden. Und die Situation in Zahnarztpraxen zeigt, dass dies unbedingt erforderlich ist.

 

/// Fazit

Die neuere Entscheidung des BAG geht in die richtige Richtung und lässt Arbeitgeber etwas aufatmen. Urlaub von Urlaub gibt es nicht mehr. Erstaunlicherweise war dieses Selbstverständnis in der Rechtsprechung bisher gerade keine Selbstverständlichkeit. Der 9. Senat hat nun deutlich gemacht, dass es den Urlaubsanspruch nicht mehr nur starr vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses abhängig macht. Es wird wieder maßgeblich auf den Erholungszweck abstellt, der damals auch entscheidend für den Gesetzesentwurf war. Gleichwohl sind hiermit noch nicht alle Rechtsfragen abschließend geklärt, auch noch nicht in Bezug auf die Frage der Urlaubsentstehung während eines Beschäftigungsverbots in der Stillzeit. Es bleibt daher abzuwarten, wie die Rechtsprechung sich weiter entwickeln wird. Aufgrund der neuen Tendenz des BAG kann es sich für Zahnarztpraxen im Einzelfall möglicherweise lohnen, die Rechtsfrage noch mal gerichtlich klären zu lassen.

 

– AUTORIN
– Jennifer Jessie · Rechtsanwältin

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