Vasovagale Synkope – Symptome, Differential-Diagnosen und Maßnahmen

 

 

Der Patient steht nach Ihrer Behandlung langsam vom Behandlungsstuhl auf, während sie den Raum verlassen. Plötzlich hören Sie Rufe aus dem Patientenzimmer und eilen zurück. Ihr Patient liegt wieder auf dem Stuhl. Die zahnmedizinische Fachangestellte beschreibt, dass der Patient aufstehen wollte, dann über Schwindel und Schwarzwerden vor Augen geklagt hat und wieder zurück in den Stuhl gefallen ist. Sie sind in dieser Situation gefordert, gut und schnell zu reagieren. Sie müssen etwaige ernste Notfälle abwägen und die passende Behandlung einleiten, damit es Ihrem Patienten schnell wieder gut geht. Doch wie gehen Sie hier vor?

Andrea Hirth

 

/// Symptome

Betrachten wir zunächst die Symptome unseres Patienten. In der Notfallmedizin gehen wir immer nach dem so genannten xABCDE-Schema vor – die Buchstaben folgen den jeweiligen englischen Begriffen. Das x steht hierbei für „Exsanguination“ und meint stark oder lebensbedrohlich blutende Wunden. Das A beschreibt mit „Airway“ den Atemweg und auch die Halswirbelsäule. Das B meint „Breathing“ und steht für die Atmung und die Belüftung. Mit dem C für „Circulation“ ist die Kreislaufsituation gemeint. Das D für „Disability“ beschreibt neurologische Defizite. Zu guter Letzt folgt noch das E für „Exposure“, welches die genauere Untersuchung am entkleideten Patienten beschreibt sowie weitere Diagnostik, die in den vorherigen Bereichen noch nicht abgedeckt war. Mit diesem Schema sind schnell die wichtigsten Symptome und Parameter erfasst, um eine erste Verdachtsdiagnose zu stellen und so schnell und richtig handeln zu können. Im Verlauf der Behandlung wird dieses Schema immer wieder reevaluiert und ggf. mit der Diagnosestellung nachtariert.

 

xABCDE

Symptome unseres Patienten

x

Keine lebensbedrohlichen, äußeren Blutungen erkennbar; keine Verletzungen

A

Patient wieder ansprechbar; kein Sturzgeschehen – HWS ohne pathologischen Befund; Atemwege sind frei (Inspektion), kein Stridor hörbar

B

Atemfrequenz/-tiefe/-typ ohne pathologischen Befund, kein Foetor, Thoraxexkursionen sind normal, keine gestauten Halsvenen und keine Hautemphyseme sichtbar, Auskultation ebenfalls ohne pathologischen Befund

C

Rekapillarisierungszeit >2 sec.; Radialispuls rhythmisch aber nur schwach tastbar und tachykard bei ca. 105; Blutdruckmessung ergibt Hypotonie bei systolisch ca. 90 mmHg; Haut ist blass und leicht schweißig

D

Pupillen sind mittelgroß, isokor und reagieren prompt auf Licht; Motorik, GCS und FAST sind ohne pathologischen Befund; vorausgehend kurze Bewusstlosigkeit von einigen Sekunden

E

Körpertemperatur im Normbereich; keine Ödeme; keine sonstigen Verletzungen und keine weiteren Symptome

 

/// Diagnose

Nach unserer (Fremd-) Anamnese und Diagnostik kommen wir zu der ersten Arbeitsdiagnose „vasovagale Synkope“.

 

/// Pathophysiologie

Die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie aus dem Jahr 2020 beschreibt vasovagale Synkopen (VVS) wie folgt:

„Die Begriffe „vasovagale Synkopen“ und „Reflexsynkopen“ verwenden wir synonym und als Oberbegriff für alle Synkopenformen, die als synkopenauslösenden Mechanismus eine Vasodilatation durch Sympathikushemmung und/oder eine vorwiegend vagal bedingte Bradykardie oder Asystolie aufweisen (im Unterschied zu der Synkopenleitlinie der ESC (Brignole et al. 2018), bei der „Reflexsynkope“ als Oberbegriff dient und „vasovagale Synkopen“ nur bestimmte Varianten bezeichnen). 

Nach den Auslösern lassen sich folgende Varianten vasovagaler Synkopen (VVS) unterscheiden:

  • Orthostatische VVS (nach längerem Stehen)
  • Blut-/verletzungsassoziierte VVS
  • Carotissinussynkope (durch Massage auf den Carotissinus)
  • Sonstige situative VVS (z. B. Schlucksynkope, Miktionssynkope)
  • Synkopen ohne erkennbare Trigger

 

/// Wichtige Differentialdiagnosen

Herzkreislaufsystem: Herzrhythmusstörungen, koronare Herzkrankheit, Lungenembolie, (stummer) Myokardinfarkt, Subarachnoidalblutung, venöse Thromboembolie, orthostatische Synkope

Neurogen: Epilepsie, neurogene Synkope, transitorische ischämische Attacke (TIA) oder andere Form der zerebralen Ischämie

Metabolisch: Anämie, Dehydratation, Hyperventilation, Hypoglykämie, Hypoxie, Intoxikationen oder Medikamentenwirkungen

/// Nicht-ärztliche Maßnahmen

Zunächst müssen in der Notfallsituation immer erstmal die Vitalparameter erhoben werden. Die Messung von Herzfrequenz und Blutdruck können von Ihren zahnmedizinischen Fachangestellten durchgeführt werden, während Sie die restlichen Parameter erheben. Sollten Sie in Ihrer Praxis ein EKG-Gerät oder einen Defibrillator mit Einkanal-Ableitung haben, so können Sie auch ein EKG schreiben und hier nach eventuellen Auffälligkeiten suchen. Wichtig ist auch eine Eigen- und Fremdanamnese nach dem SAMPLERS-Schema. SAMPLERS steht für Symptome, Allergien, Medikamente, medizinische Vorgeschichte, letzte Mahlzeit/letzter Stuhlgang/letzter Krankenhausaufenthalt, Ereignis vor dem Geschehen sowie Risikofaktoren.

Da der Patient in diesem Fall bereits auf dem Behandlungsstuhl liegt und die Beine auf Herzhöhe sind, ist die erste Maßnahme bereits getroffen. Hier kann es sinnvoll sein zusätzlich eine Schocklage mit dem Behandlungsstuhl zu machen, wenn denn keine Leitsymptome wie beispielsweise Brustschmerzen, dagegensprechen. Der Wärmeerhalt wäre hier noch eine weitere Maßnahme. Wichtig ist es, bei dem Patienten zu bleiben, ihn zu beruhigen und ihm Sicherheit zu vermitteln.

 

/// Ärztliche Maßnahmen

Sollte sich die Kreislaufsituation durch die Schocklagerung nach einigen Minuten nicht verbessern oder weitere Symptome hinzukommen, muss spätestens hier ein Notruf an den Rettungsdienst (bundesweite Telefonnummer 112) abgesetzt werden. Von ärztlicher Seite wäre es eine Option bei entsprechend niedrigem Blutdruck einen peripher-venösen Zugang zu legen und eine Elektrolytlösung als Infusion zu verabreichen. Gegebenenfalls kann es auch notwendig sein, blutdrucksteigernde Medikamente (bspw. Akrinor) zu verabreichen.

 

/// Hilfreiches Material für die Praxis

Eine wichtige Anschaffung für die Praxis ist ein Notfallkoffer oder -rucksack, indem die wichtigsten Diagnostikgegenstände sowie grundlegend auch Verbandmaterial und Material für einen venösen Zugang sowie Infusions- und Medikamentengabe enthalten sind. Zur schnellen Diagnostik eignet sich ein kleines Pulsoxymeter, eine Blutdruckmanschette und ein Stethoskop sowie eine Pupillenleuchte. Ergänzt werden kann das Material durch ein Blutzuckermessgerät. Ein Sortiment an wichtigen Verbandsmitteln ist ebenso notwendig, wie verschiedene Größen an Venenverweilkanülen und Infusionen mit Infusionsbesteck. Wenn Sie Notfallmedikamente vorhalten, machen Sie sich mit deren Anwendung vertraut. Medizinisches Equipment muss regelmäßig auf Funktionalität und Haltbarkeit geprüft werden.

 

Insgesamt empfiehlt es sich sehr, als Praxis gemeinsam regelmäßige Notfalltrainings zu besuchen, um zu lernen und zu üben, wie alle gemeinsam routiniert auf medizinische Notfälle in der Praxis reagieren können.

 

– AUTORIN
Andrea Hirth
Notfallsanitäterin

– KONTAKT
Malteser Hilfsdienst e.V.
Diözesangeschäftsstelle München
Streitfeldstraße 1
81673 München
www.malteser.de/standorte/erzbistum-muenchen-und-freising