Wann darf die Krankschreibung angezweifelt werden?

Volker Görzel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

 

Gibt es Hinweise, dass eine Krankschreibung zu Unrecht erfolgt ist, müssen Mitarbeitende beweisen, dass er oder sie tatsächlich krank war?

Volker Görzel

 

Kündigt der Arbeitnehmer und wird er gleichzeitig mit diesem Tag krankgeschrieben, können an dem Beweiswert der AU-Bescheinigung Zweifel aufkommen.

 

Besonders dann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeitpassgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst, könnte die AU-Bescheinigung unglaubwürdig erscheinen.

 

Der Fall des Bundesarbeitsgerichts: Eine Arbeitnehmerin war bei ihrer Arbeitgeberin seit Ende August 2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 8. Februar 2019 kündigte die Beschäftigte das Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019 und legte ihrer Arbeitgeberin eine auf den 8. Februar 2019 datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Die Arbeitgeberin verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung.

 

/// Erschütterter Beweiswert der AU-Bescheinigung

Nach Ansicht der Richter des BAG sei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Arbeitnehmerin abdecke. Die Arbeitnehmerin gab hingegen an, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-out gestanden. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht hatten in den Vorinstanzen der Entgeltfortzahlungsklage der Arbeitnehmerin stattgegeben.

 

/// BAG-Urteil: Sind die Zweifel berechtigt, steht der Arbeitnehmer in der Beweispflicht

Nachdem die Arbeitgeberin Revision eingelegt hatte, entschied das BAG den Fall jedoch anders als die beiden Vorinstanzen: Die Arbeitnehmerin hat die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit während der Kündigungsfrist zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, dem dafür gesetzlich vorgesehenen Beweismittel, nachgewiesen. Diesen Beweiswert kann der Arbeitgeber jedoch erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an derArbeitsunfähigkeitgeben. Gelingt dem Arbeitgeber dies, muss wiederum der oder die Beschäftigte substantiiert darlegen und beweisen, dass er oder sie tatsächlich arbeitsunfähig war. Dieser Beweis kann beispielweise durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht erfolgen.

 

/// Bundesarbeitsgericht weist Klage ab

Im vorliegenden Fall wurde der Beweiswert nach Ansicht der Richter durch die Arbeitgeberin erschüttert: Das passgenaue Zusammentreffen der Kündigungsfrist vom 8. Februar zum 22. Februar 2019 und der am 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründet einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigtenArbeitsunfähigkeit. Die Arbeitnehmerin konnte im Prozess das tatsächliche Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit nicht hinreichend konkret darlegen. Die Arbeitgeberin muss demnach die Entgeltfortzahlung nicht leisten (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2021, Az: 5 AZR 149/21).

 

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Volker Görzel, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

 

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