Wie viel darf ein Zahnarzt eigentlich arbeiten? Tätigkeiten neben der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit – Eine EINZELFALLENTSCHEIDUNG
Immer wieder werden wir in unserer Beratungstätigkeit darauf angesprochen, ob und wie viel der Zahnarzt neben seiner vertragszahnärztlichen Tätigkeit arbeiten darf. Unsere typische juristische Antwort lautet: Es kommt darauf an.
Stephanie Lamp
Mit der Einführung auch hälftiger vertragsärztlicher Zulassungen im Zuge des Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) haben sich die Möglichkeiten (zahn)ärztlicher Betätigung deutlich erweitert. Zudem wurde durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz die Regelung der Nebentätigkeiten ergänzt. Durch diese Lockerungen wurde die vom Gesetzgeber gewünschte Flexibilisierung gefördert.
Vor der Änderung regelte die jeweilige Zulassungsverordnung, dass ein (Zahn)Arzt, der wegen eines Beschäftigungsverhältnisses oder anderer nicht ehrenamtlicher Tätigkeit für die Versicherten nicht in erforderlichem Maß zur Verfügung steht, für die Ausübung vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit nicht geeignet ist. In ständiger Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht entschieden, dass ein Vertrags(zahn)arzt mit einer vollen Zulassung bis zu 13 Stunden und bei einem hälftigen Versorgungsauftrag bis zu 26 Stunden in der Woche einer anderen Tätigkeit nachgehen kann. Von dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber durch das Versorgungsstrukturgesetz bewusst gelöst, weswegen die vorgenannte stringente Zeitenregelung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts so nicht mehr fortgeführt werden kann.
/// § 20 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV
Diese Regelung führt als Hinderungsgrund für die Zulassung zur vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit Tatbestände der Nichteignung auf.
Danach ist der (Zahn)Arzt nicht für die Ausübung vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit geeignet, der wegen eines Beschäftigungsverhältnisses oder wegen anderer nicht ehrenamtlicher Tätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer und der zeitlichen Lage der anderweitigen Tätigkeit den Versicherten nicht in dem seinen Versorgungsauftrag entsprechenden Umfang persönlich zur Verfügung steht und insbesondere nicht in der Lage ist, Sprechstunden zu den in der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung üblichen Zeiten anzubieten.
Ob ein solcher Hinderungsgrund vorliegt, ist also anhand einer prognostischen Einschätzung über die tatsächliche Erfüllung der aus der Zulassung erwachsenen Pflichtenstellung zu prüfen. Eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung ist nur dann gesichert, wenn der Vertrags(zahn)arzt sowohl regelmäßig zu den üblichen Sprechzeiten für die Versorgung der Versicherten verfügbar ist, als auch in den Grenzen der Zumutbarkeit und Üblichkeit für Notfallbehandlungen und für andere wichtige Fälle außerhalb der Sprechzeiten tätig werden kann[1].
Wie eingangs bereits erwähnt, bedarf es aufgrund der durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz vorgenommenen Ergänzung einer Korrektur der bisher ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach die Arbeitszeit in einem Beschäftigungsverhältnis bei vollzeitiger Zulassung nicht mehr als 13 Stunden wöchentlich betragen darf[2]. Die Sprechzeiten, die bei vollem Versorgungsauftrag lediglich 20 Stunden betragen, sind mit in die Prüfung einzubeziehen. Das Erfordernis von nicht mehr als 13 Stunden anderweitiger Beschäftigungszeiten stellt insoweit keine starre Grenze mehr für die Zulässigkeit einer vollen Zulassung dar. Im Falle einer Zulassung mit einem hälftigen Versorgungsauftrag wird eine schematische Verdopplung der zulässigen Grenze einer anderweitigen Beschäftigungszeit auf 26 Stunden[3] ebenfalls zu korrigieren sein.
/// Aktuelle Rechtsprechung: Bundessozialgericht, Urteil vom 16.12.2015 –
B 6 KA 19/15 R
Das Bundessozialgericht hat nun in dem vorgenannten Urteil entschieden, dass die Zulassung eines Hochschullehrers und in Vollzeit angestellten Chefarztes an einem Universitätsklinikum zur vertragsärztlichen Versorgung aufgrund seiner Vollzeittätigkeit ausgeschlossen ist.
Das Bundessozialgericht hat klargestellt, dass der Gesetzgeber die zeitlichen Grenzen für die Ausübung von Nebentätigkeiten für Vertragsärzte mit der Neufassung des § 20 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV zwar gelockert habe, aber auch der Neuregelung eine Vollzeitbeschäftigung der Zulassung als Vertragsarzt entgegenstehe.
Zur Begründung führt das Gericht aus, dass seit der Gesetzesänderung die Erteilung der vertragsärztlichen Zulassung nicht mehr davon abhänge, dass eine daneben ausgeübte Beschäftigung des Vertragsarztes eine konkrete Stundenzahl nicht überschreitet.
Der Gesetzesbegründung lasse sich entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der geänderten Formulierung eine Flexibilisierung der vertragsärztlichen Berufsausübung erreichen und die zeitlichen Grenzen für Nebenbeschäftigungen der Vertragsärzte lockern wollte. Vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung und dem darin zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen könne die Zulassungserteilung nunmehr nicht davon abhängen, dass die Beschäftigung oder sonstige Tätigkeit, die ein Arzt neben seiner Tätigkeit als Vertragsarzt ausübt, eine genau festgelegte zeitliche Grenze nicht übersteigt. In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es wie folgt:
[…] Der Rechtsprechung, nach der die Ausübung einer Beschäftigung im Umfang von mehr als 13 Wochenstunden der Zulassung mit einem vollen Versorgungsauftrag und die Ausübung einer Beschäftigung im Umfang von mehr als 26 Wochenstunden auch der Zulassung mit einem halben Versorgungsauftrag entgegensteht, ist durch die gesetzliche Neuregelung die Grundlage entzogen. Eine feste zeitliche Grenze, bei deren Überschreitung eine Zulassung nicht mehr erteilt werden kann, gilt nicht mehr. Damit kann die Erteilung der Zulassung auch nicht mehr pauschal von der – damit unmittelbar zusammenhängenden – Einhaltung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von insgesamt 52 Wochenstunden (vgl dazu BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 5/15 R) oder davon abhängig gemacht werden, dass der Arzt nicht überwiegend in einem Beschäftigungsverhältnis tätig ist. […]
Weiter begründet das Bundessozialgericht seine Entscheidung damit, dass weder dem durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz geänderten Wortlaut des § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV noch der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte dafür zu entnehmen seien, dass der in ständiger Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, nach dem der vollzeitige hauptberufliche Einsatz in einem Beschäftigungsverhältnis oder in einer anderen nicht ehrenamtlichen Tätigkeit den Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ausschließt, nicht mehr gelten sollte. § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV sei mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz lediglich modifiziert und nicht aufgehoben worden. Nach der Neufassung des Wortlauts komme es auf den Umfang der anderweitigen Tätigkeit nicht an. Dazu stellt das Bundessozialgericht Folgendes fest:
[…] Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/6906 S 44) sollten die in der Rechtsprechung entwickelten zeitlichen Grenzen für Beschäftigungen, die neben der vertragsärztlichen Tätigkeit ausgeübt werden, nicht beseitigt, sondern nur „gelockert“ werden. […]
Der Anspruch auf eine Zulassung hänge nunmehr davon ab, dass die Beschäftigung auf weniger als Vollzeit reduziert wird. Eine starre Grenze in Form einer bestimmten Stundenzahl, auf die die Beschäftigung zu reduzieren wäre, um eine Zulassung zu ermöglichen, könne nach der Änderung des § 20 Abs. 1 Ärzte-ZV/Zahnärzte-ZV durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz nicht mehr angegeben werden. Entscheidend seien die Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Eine Zulassung werde aber umso eher erteilt werden, je deutlicher sich die gleichzeitig ausgeübte Beschäftigung oder sonstige nicht ehrenamtliche Tätigkeit von einer Vollzeittätigkeit entfernt.
/// Praxishinweis
Durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurden in großem Umfang rechtliche Schranken im Hinblick auf den Umfang der zulässigen Nebentätigkeiten abgebaut, was zur beabsichtigten Flexibilisierung geführt hat. Mit dem hier besprochenen Urteil hat nun auch das Bundessozialgericht seine ständige Rechtsprechung zum Umfang einer Nebentätigkeit angepasst, was zu begrüßen ist. Starre Zeitgrenzen gibt es nicht mehr. Vielmehr ist für eine Nebentätigkeit maßgeblich, dass der (Zahn)Arzt in der Lage ist, den Patienten am Praxissitz in einem dem Versorgungsauftrag entsprechenden Umfang zur Verfügung zu stehen, was anhand einer Einzelfallbetrachtung zu beurteilen ist. Die absolute Grenze bildet allerdings (weiterhin) die vollzeitige anderweitige Tätigkeit.
– AUTORIN
Stephanie Lamp, Rechtsanwältin
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– Quellenangaben
[1] vgl. BSG, Urteil vom 11.09.2002, B 6 KA 23/01 R.
[2] BSG, Urteile vom 30.01.2002, B 6 KA 20/01 R; vom 11.09.2002, B 6 KA 23/01 R; vom 05.02.2003, B 6 KA 22/02 R.
[3] BSG, Urteil vom 13.10.2010, 6 B KA 40/09 R.