Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu komplexen (und interaktionsreichen) Pflegehandlungen so genannte Expertenstandards zu entwickeln, welche als evidenzbasierte Instrumente wesentlich zur Qualitätssicherung und –Entwicklung in der Pflege beitragen. Nun wird mit einem weiteren Expertenstandard die Bedeutung der Mundgesundheit in den Fokus pflegerischen Handelns gerückt.
Heike Wilken, Sylvia Fresmann
„Das Ziel: Die Förderung der Mundgesundheit in der Pflege – auch bei vielen eigenen Zähnen, bei Implantaten oder technisch aufwändigem Zahnersatz. Da hat sich in den letzten 30 Jahren viel getan.“, so Dr. Elmar Ludwig. Er ist als Zahnarzt Mitglied der DNQP-Expertenarbeitsgruppe, die den Expertenstandard zur Förderung der Mundgesundheit erarbeitet hat. Ludwig verfügt über langjährige Erfahrung und Konzepte zur zahnärztlichen Betreuung von Menschen mit pflegerischem Unterstützungsbedarf.
Der „Expertenstandard zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ wurde im Herbst 2022 finalisiert. Die Besonderheit dieses Standards war der Austausch zwischen den Professionen der Pflege und der Zahnmedizin, um gemeinsam Strategien für die Umsetzung guter Mundpflege zu entwickeln.
Aber wie gelingt gute Mundhygiene bei Pflegebedürftigkeit und erst recht bei eingeschränkter Kooperationsfähigkeit? Hier ist der interprofessionelle Austausch gefragt, um gemeinsame Strategien zu entwickeln.
Pflegeexpertin Prof. Dr. Annett Horn und Dr. Elmar Ludwig als Mitglieder der Expertenarbeitsgruppe haben dazu ein interprofessionelles Workshop Programm entwickelt. Es geht darum, ein gegenseitiges Verständnis für die professionsspezifischen Herausforderungen zu schaffen.
Der 1. Interprofessioneller Workshop zum Expertenstandard zur „Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ fand am 27.01.- 28.01.2023 statt und war ein voller Erfolg. Zur Umsetzung in der Pflege und in den Praxisalltag haben sich Sachkundige aus den Professionen der Pflege und der Zahnmedizin zu einem gemeinsamen Pilot Workshop am Zentrum für praktisches Lehren Und Lernen (ZpLL) in Münster getroffen.
Am 27.01. ging es um 09:00 Uhr los, alle waren ganz begeistert und gespannt, denn es fand zum ersten Mal ein Treffen mit Sachkundigen aus beiden Professionen statt. Der Workshop begann mit einer intensiven Vorstellungsrunde, bei der auch die Erwartungen der Teilnehmenden formuliert wurden. Das Interesse seitens der Dentalhygienikerinnen und Pflegefachkräfte war groß, es waren sogar Teilnehmerinnen aus Freiburg angereist. Die Stimmung war geprägt von Erstaunen, Toleranz und Offenheit der anderen Profession gegenüber.
Was uns von der DGDH unter anderem begeistert hat, war die Definition Mundgesundheit im Expertenstandard: „Mundgesundheit zeigt sich in der Fähigkeit zu kauen und ohne Einschränkungen zu essen, deutlich zu sprechen und unbeschwert lächeln zu können.“ (DNQP 2021). Das führte uns wieder mal vor Augen, welch einen schönen und wichtigen Beruf wir haben und welchen Stellenwert die Mundgesundheit eigentlich hat.
Zu Anfang erklärte Frau Prof. Dr. Horn die Struktur des Pflegeprozesses:
/// Der Pflegeprozess für die Mundgesundheit ist gegliedert in den Ebenen
- Einschätzung/ Assessment
- Planung von Maßnahmen
- Durchführung von Maßnahmen
- Anleitung/ Information/Beratung von Patienten/Bewohnern
- Evaluation
Für die einzelnen Ebenen sind Kriterien formuliert in den Kategorien:
- Struktur (Ressourcen)
- Prozess (was getan werden muss).
- Ergebnis (was erreicht werden soll).
Aber auch die zahnmedizinischen Themen kamen nicht zu kurz. Dr. Ludwig gab viele Tipps zur Umsetzung und zu Situationen in den Pflegeinrichtungen. So haben wir folgende Themen professionsübergreifend besprochen:
/// ATP: Aktivierend-therapeutische Pflege
Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie (ATP-G) heißt, den alten kranken Menschen zur größtmöglichen Selbstständigkeit zu führen. Es geht nicht nur um die bekannte „Hilfe zur Selbsthilfe“, sondern um ein Trainieren der Aktivitäten des täglichen Lebens. Dies beinhaltet, den Patienten trotz und mit seinen Einschränkungen die Möglichkeiten seines Handelns selbst erfahren zu lassen und ihn dahingehend zu motivieren, dass er mit pflegerischer Unterstützung Aktivitäten erhalten, ja sogar wieder erlernen und einüben kann.
/// Beziehungsgestaltung bei Demenz:
Die Anzahl der älteren Menschen mit einer Demenzerkrankung, die zu Hause oder in Einrichtungen der Langzeitpflege leben und einer zahnärztlichen Versorgung bedürfen, ist hoch und wird steigen. Eine gute Mundhygiene und eine adäquate Zahnversorgung sind von elementarer Bedeutung für die Gesundheit und das Wohlbefinden dieser Klientel. Umso wichtiger ist es für das zahnärztliche Fachpersonal, Wissen über die Erkrankung zu haben und entsprechende Strategien im Hinblick auf den Umgang und die Kommunikation zu kennen.
/// Schluckstörungen
Insgesamt sind 5 Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Etwa 50 % aller Menschen, die in stationären Pflegeeinrichtungen leben, leiden unter Schluckstörungen – bei fortgeschritten demenziell erkrankten Menschen sind es sogar 75 %! Das Problem ist die stille Aspiration („Silent Aspiration“).
All diese Themen, da waren sich alle Teilnehmer einig, müssen vertieft werden. Die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg hat dazu sehr viele Informationen zusammengefasst, die unter diesem Link abzurufen sind: https://lzk-bw.de/zahnaerzte/alters-und-behindertenzahnheilkunde/barrierefreiheit
So bildeten wir verschiedene kleinen Arbeitsgruppen, die sich jeweils aus Expertinnen der Pflege und Dentalhygiene zusammensetzten. Die Themen wurden diskutiert und auf einer Flip Chart zusammengefasst. Bei diesem Austausch wurde offensichtlich, wie wichtig es ist, auch mal die andere Seite zu sehen und zu verstehen. Im Anschluss hat dann jede Gruppe ihre Ergebnisse und Ideen präsentiert – einfach toll, diese Zusammenarbeit!
Der erste Tag ging sehr schnell vorüber und alle haben sehr viele neue Eindrücke und Ideen gewonnen. Den Abend haben wir mit einem gemeinsamen Abendessen ausklingen lassen und konnten uns noch besser kennen lernen. Erste Kontakte wurden ausgetauscht – es war ein netter Abend im DGDH-Stil …
Der Samstag stand dann im Fokus der praktischen Umsetzung. Dabei hat uns Dr. Elmar Ludwig die neue Internetplattform www.mund-pflege.net vorgestellt. Eine Plattform, die weltweit einzigartig ist. Sie bietet kostenfrei wissenschaftlich fundierte aktuelle Informationen und Handlungsempfehlungen zu allen Themen der Mundgesundheit. Die Plattform lässt sich sehr gut für Beratungen, Schulungen und Anleitungen in der Pflege integrieren und kann auch in der Praxis gut genutzt werden. Hier finden wir interessante Informationen zum Thema Ernährung, Zahnersatz und ganz viele Bilder zu möglichen Erkrankungen in der Mundhöhle. So umfassend und gut strukturiert – ideal auch für die Fortbildung der Pflegekräfte. Die Homepage wird ständig erweitert und aktualisiert, ein wahrer Schatz für beide Professionen. Da lohnt es sich auf jeden Fall den Newsletter zu abonnieren – das geht ganz einfach direkt auf der Startseite und ist mit zwei Klicks erledigt!
Jede Menge Tipps und Tricks hatte Dr. Elmar Ludwig für uns parat. Kurz gesagt: “Mit wenigen Mitteln, möglichst viel erreichen“. Im Skills Lab durften wir dann etwas „Praxisluft“ Schnuppern. Das Skills Lab ist ein eingerichteter Raum wie in einer Pflegeeinrichtung, in dem wir praktisch Üben konnten. Wie funktioniert Zähneputzen im Sitzen am Waschbecken oder im Liegen am Bett am besten? Wie stehe ich ergonomisch richtig? Dr. Elmar Ludwig hatte eine Fülle von Tipps für uns parat, wie rückengerechtes Arbeiten am Patienten möglich ist.
Und um es an dieser Stelle nochmals klar zu sagen: Ziel des Workshops für uns Dentalhygienikerinnen war, dass wir den Pflegeprozess besser verstehen und „Werkzeuge“ an die Hand bekommen, Pflegekräfte im Hinblick auf die zahnärztlich relevanten Aspekte besser unterstützen zu können! Typische Erkrankungen zu erkennen, wann der Zahnarzt gerufen werden muss, welche Pflegemittel sich bewährt haben, worauf verzichtet werden sollte und wie die Unterstützung bei der Mundhygiene am besten gelingen kann. Es wurde zudem deutlich, dass die Beachtung des Delegationsrahmens von besonderer Bedeutung ist. Ohne Anwesenheit des Zahnarztes bzw. der Zahnärztin mit der Möglichkeit, unmittelbar eingreifen zu können, verbieten sich für uns jegliche Maßnahmen am einzelnen den betroffenen Menschen mit pflegerischem Unterstützungsbedarf.
Die zwei Tage vergingen sehr schnell und hatten uns Dentalhygienikerinnen und die Pflegekräfte ein ganzes Stück näher zusammengebracht. Es war eine großartige Erfahrung, die wir nicht mehr missen möchten.
Der Pilot Workshop wurde unterstützt durch die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe sowie der Apolonia Stiftung zu Münster. „Für die Mundgesundheit pflegebedürftiger Menschen ist diesen Dialog der Professionen essenziell. Diesen Dialog wollen wir fördern!“ ließ Dr. Wilfried Beckmann ausrichten. Er selbst konnte leider nicht dabei sein, aber Frau Dr. Sinje Trippe-Frey war Samstagmorgen extra nach Münster gekommen und hat die Wichtigkeit nochmals bekräftigt.
Mit der Mundgesundheit in der Pflege kommt in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe auf uns zu und wir sind sehr froh, dass wir als DGDH diese Herausforderung zusammen mit Elmar Ludwig angehen können. Elmar Ludwig engagiert sich seit vielen Jahren mit großer Begeisterung für das Thema.
Als DGDH möchten wir uns im Zuge des neuen Expertenstandards zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege als starker Partner einbringen, wenn es darum geht, sowohl in den Praxen als auch zum Beispiel im Rahmen von Schulungen für Pflegekräfte die Mundgesundheit der Menschen mit Unterstützungsbedarf zu fördern. Da gibt es jede Menge zu tun und wir freuen uns darauf!
– AUTORINNEN
Heike Wilken, DH
Sylvia Fresmann, DH
– KONTAKT
Deutsche Gesellschaft für DentalhygienikerInnen e.V. (DGDH)
Fasanenweg 14
48249 Dülmen
E-Mail: fresmann@dgdh.de
Internet: www.dgdh.de