Wie John Lennon zurück in die Band kam

Abb. 6: Intelligent lernen, intelligent navigieren, intelligent sehen – oft steckt schon heute auch Künstliche Intelligenz in dentalen Systemen, und eine VR-Brille erleichtert der humanen Intelligenz in manchen Fällen die Nutzung der KI-Ergebnisse. – Foto: Koelnmesse / IDS Cologne / Oliver Wachenfeld

Wie John Lennon zurück in die Band kam und wie KI die Zahnmedizin bereichert

Künstliche Intelligenz (KI) kann heute so viel mehr als vor dreißig Jahren, dass sich ganz neue Anwendungsfelder eröffnen. Wie groß der Fortschritt ist, zeigen ein einzigartiges Beispiel aus der Musik und viele Beispiele aus der Zahnmedizin für verbesserte Therapien und Produkte. Teilweise sind sie schon heute verfügbar. Noch mehr bietet die Internationale Dental-Schau (IDS) vom 25. bis zum 29. März 2025 in Köln.

Dr. Christian Ehrensberger

 

Nach dem Tod des Beatles John Lennon schenkte seine Frau Yoko Ono den drei anderen „Pilzköpfen“ eine Aufnahme ihres ermordeten Mannes: ein unbekanntes Lied. Er singt es in seinem Appartement und spielt dazu auf dem Klavier.

 

Anfang der 1990er Jahre versuchten Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison, das Lied posthum in eine aktuelle Studioaufnahme zu integrieren – vergeblich. Drei Jahrzehnte später klappte es: Dank fortgeschrittener Künstlicher Intelligenz stimmte im wohl letzten neuen Song der Beatles „Now and then“ John Lennon mit ein. Daran wird das Prinzip klar: KI lässt sich mit verschiedenen Musikbeispielen trainieren, unterscheidet dann Muster (Stimmen, auch individuelle Stimmen, Instrumente, Hintergrundgeräusche) und holt das „Now and then“ harmonisch optimiert selbst aus einer undeutlichen und verrauschten Aufnahme heraus. Ganz ähnlich funktioniert es bei zahnmedizinischen Röntgenbildern.

 

/// Aufwand in Dokumentation, Verwaltung und Abrechnung sinkt

Der KI werden viele Röntgenbilder mit Zähnen vorgelegt, und ein Zahnarzt füttert zu jedem Bild die Information „kariös“ oder „nicht-kariös“ ein. Auf diese Weise gefüttert, „weiß“ die KI diese Unterscheidung selbst zu treffen. Während einer anschließenden Trainingsphase erkennt die KI nach und nach immer besser, wo sich Karies gebildet hat und wo nicht, wo Kronen und Brücken anzutreffen sind. Außer auf Karies lässt sich die KI ebenso auf das Erkennen von parodontalem Knochenabbau trainieren.

 

Marktreife Lösungen vom Röntgengerät bis zur KI-Analyse-Software für eine automatische Befundung sind bereits heute als Medizinprodukte erhältlich. Folgendermaßen kann man damit arbeiten: In der Regel werden kleine Läsionen durch die KI besser erkannt als durch den Menschen, ebenso seltene Veränderungen. Der Zahnarzt greift am Schluss korrigierend ein. Da in diesem Stadium schon alles digital vorliegt – optional bis zum Zahnschema des Patienten – lässt sich der Aufwand für Dokumentation, Abrechnung und Patientenverwaltung reduzieren.

 

So hilft die KI, elektronische Patientenakten zu führen. Darüber hinaus bringt sie auch an anderen Stellen der „Bürokratie“ mehr Sicherheit und Tempo in die Praxis. Beispielsweise lassen sich die Implikationen der Medizinprodukteverordnung und des Gesetzes zur Künstlichen Intelligenz mit Hilfe von KI leichter auf Stand halten und in die Praxis umsetzen.

 

/// KI unterstützt als Kommunikator und als Behandlungsassistenz

In diesem Bereich kann auch der Chatbot ChatGPT mit seinen Möglichkeiten zur Sprachverarbeitung aktiv werden. Er könnte im Praxisalltag die Patientenkommunikation unterstützen und beispielsweise Nachfragen des Patienten beantworten. So kann sich etwa ein Frage-Antwort-Spiel entspinnen. Dabei wird etwa der Inhalt einer Patientenbroschüre diskutiert; der Patient ist gut informiert und auf ein persönliches Gespräch mit dem Behandler und/oder der Assistenz vorbereitet. Dabei unterstützt KI den Behandler und die Assistenz dann durch eine Simulation des Ergebnisses der Behandlungsplanung – zum Beispiel mit anschaulichen Bildern auf dem Monitor oder dem Smartphone („Smile Design“).

 

Darüber hinaus gibt es erste Ansätze für „intelligente“ und dabei auch manuell aktive Roboter im Praxisteam. Zu ihren Aufgaben würde im ersten Schritt das Anreichen von Instrumenten zählen.

 

/// Künstliche Intelligenz in zahnärztlichen Spezialdisziplinen

In Implantologie, Endodontie und Kieferorthopädie lassen sich bereits Entwicklungen absehen, die zwar zurzeit noch deutlich vom „Plug and play“ entfernt sind, doch könnten die kommenden Monate bereits entscheidende Fortschritte bringen.

 

Nach einer spektakulären, aber auch aufwendigen und teuren Zahnimplantation durch einen Roboter in China besteht die realistischere Variante in der Assistenz beim Aufbohren des Kieferknochens für das spätere Setzen eines Implantats. Ein „intelligentes“ Winkelstück, das den chirurgischen Plan „kennt“, könnte sich, falls der Implantologe bei der Bohrung vom vorgesehenen Pfad abkommt, sanft von selbst wieder in die richtige Stellung zurücklenken.

 

Für die Endodontie besteht eine Zukunftsidee darin, die Wurzelkanäle im Kanal sichtbar zu machen und in den Zahn einzublenden. Behandler könnten die Wurzelkanäle dann während der Behandlung unter Verwendung einer VR-Brille einsehen.

 

Bei der prothetischen Versorgung kann mit KI-Unterstützung eine Restauration designt werden bzw. die Software macht von selbst einen Erstvorschlag und hilft anschließend beim nahtlosen Übergang zur Fertigung im CAM-Verfahren oder im 3D-Druck.

 

In der Kieferorthopädie erscheint es aussichtsreich, die Wachstumsanalyse für Kinder auch auf der Grundlage von KI-gestützten Vorhersagen durchzuführen. Künstliche Intelligenz lässt sich mit vorhandenem Datenmaterial trainieren und kann dann, auf der Basis von Röntgenbildern eine prognoserelevante Einschätzung für die Wachstumsanalyse abgeben.

 

Vorsicht ist dagegen bei der Do-it-yourself-Kieferorthopädie geboten1. Dabei handelt es sich meist um eine Fernbehandlung von Zahnfehlstellungen mit Alignern. Diese bekommt der Patient auf der Basis von „Selfies“ von einem Unternehmen per Post zugeschickt. Die European Federation of Orthodontic Specialists Associations (EFOSA), die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie, der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) und das German Board of Orthodontics and Orofacial Orthopedics warnen in diesem Zusammenhang ausdrücklich vor kieferorthopädischen Behandlungen ohne ordnungsgemäße Diagnostik und regelmäßige klinische Überwachung. Da reicht es auch nicht, wenn an irgendeiner Stelle in der Prozesskette Künstliche Intelligenz mit am Werk ist.

 

Dagegen lohnt sich – besonders in großen Praxen oder Kliniken – der KI-Einsatz im Sterilgutkreislauf2. So können die dafür implementierten Prozesse eingesehen, analysiert und gegebenenfalls automatisiert werden. Dabei bleiben der Daten- und Persönlichkeitsschutz vollständig gewahrt.

 

Auf der IDS 2025 schärft der Besucher sein Urteilsvermögen, wo sich in der eigenen Praxis und im eigenen Labor schon heute Künstliche Intelligenz mit Erfolgsaussichten einsetzen lässt.

 

/// Vision „personalisierte Medizin“

Am Horizont schließlich leuchtet die „personalisierte Medizin“ auf. Schließlich lassen sich doch beispielsweise in der Krebstherapie Heilungschancen durch bestimmte Behandlungen unter Hinzuziehung messbarer Biomarker (z.B. aus dem Blut des Patienten) individuell abschätzen. Ähnliches könnte langfristig auch in der Zahnmedizin möglich sein. Dazu braucht der Behandler allerdings mehr Daten des Patienten. Sie sind etwa über Smart-Watches in immer größerem Maße verfügbar.

 

Näherliegend sind zurzeit allerdings andere KI-gestützte Hilfestellungen. Zu ihnen gehören „intelligente“ Zahnbürsten. Sie können ihrem Anwender beispielsweise signalisieren, dass er seine Zähne nicht lange genug putzt, dass er insbesondere im Oberkiefer rechts gründlicher zu Werke gehen sollte – kurz3: Die künstliche Intelligenz zeigt dem Patienten in dreidimensionaler Darstellung, wo er geputzt hat, und unterstützt ihn dabei, alle Flächen – ob Innen-, Außen- oder Kaufläche – bestmöglich zu säubern. Und sie erinnert ihn an den nächsten Zahnarzttermin.

 

/// Annäherung an die Zukunft im Team

Man muss freilich konstatieren, dass gegenüber Künstlicher Intelligenz Vorbehalte bestehen. So wird mancher Patient den Roboter in der Funktion einer Behandlungsassistenz als seltsam empfinden und einen „echten Menschen“ vorziehen. Auf der anderen Seite schätzten es viele Patienten, durch verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten – auch mit KI-Unterstützung – stärker in das Geschehen einbezogen zu werden und beim Festlegen der optimalen Behandlung mitzuwirken.

 

Für das Team gelingt die Annäherung an den optimalen Einsatz bestehender KI in der eigenen Praxis am besten durch gezielte Überlegungen. An erster Stelle steht dabei die folgende: Wo und wann treten im Praxisalltag zeitraubende Routinetätigkeiten auf? Je größer die belastende Routine, desto wahrscheinlicher ist es, dass es dafür schon eine KI-gestützte Lösung auf dem Markt gibt. Die lässt sich auf der IDS vom 25. bis 29. März 2025 in Augenschein nehmen, direkt einmal ausprobieren und anschließend harmonisch in die eigenen Arbeitsabläufe integrieren.

 

– KONTAKT
VDDI e.V.

Aachener Straße 1053-1055
50858 Köln
www.vddi.de

Koelnmesse GmbH

Messeplatz 1
50679 Köln
www.ids-cologne.de

 

Literaturverzeichnis

1KI nimmt Sterilgutkreislauf in den Blick. https://healthcare-in-europe.com/de/news/ki-nimmt-sterilgutkreislauf-in-den-blick.html, Zugriff am 17.7.2024

2„Do-it-yourself-KFO ist gefährlich für Patienten!” https://www.zm-online.de/news/detail/do-it-yourself-kfo-ist-gefaehrlich-fuer-patienten, Zugriff am 17.7.2024

3https://www.oralbprofessional.de/s/Produkte-iO-elektrische-Zahnbursten?language=de