Vulnerable Patienten in der täglichen Praxis: Besondere Bedürfnisse, besondere Betreuung

 

 

Der Frühling – die Jahreszeit des Neubeginns, des Erwachens und der Veränderung

Überall sprießen die ersten Blumen, die Tage werden länger, und die Luft ist erfüllt von frischer Energie. Es ist die perfekte Zeit, um innezuhalten und darüber nachzudenken, wie auch wir uns weiterentwickeln können. Der Frühling ist nicht nur eine Zeit für die Natur, sondern auch eine Einladung für uns selbst, uns neuen Herausforderungen zu stellen, unsere Fähigkeiten auszubauen und unsere Perspektiven zu erweitern.

Gerade in Zeiten, in denen die Welt sich ständig verändert und neue Anforderungen an uns gestellt werden, ist Fortbildung ein unverzichtbares Instrument, um Schritt zu halten. Weiterbildung bedeutet nicht nur, neue berufliche Qualifikationen zu erlangen, sondern auch die eigene Neugier zu wecken, neue Themen und Ansätze zu entdecken. In diesem Zusammenhang möchten wir euch unseren Interprofessionellen Workshop „Pflege und Zahnmedizin im Dialog“ ans Herz legen. Der Workshop findet mit Frau Prof. Dr. Horn und Dr. Elmar Ludwig statt, indem die Themen des heutigen Artikels intensiviert werden. Termine können unter www.dgdh.de/fortbildungen eingesehen und auf unserer Seite gebucht werden.

Wir freuen uns euch dort zu treffen!

Herzliche Grüße

Heike Wilken

 

Vulnerable Patienten in der täglichen Praxis: Besondere Bedürfnisse, besondere Betreuung

Die zahnmedizinische Prävention der vergangenen Jahrzehnte war sehr erfolgreich und wir haben es vielen unserer Patienten ermöglicht, ihre Zähne bis ins hohe Alter zu erhalten. Doch genau das stellt uns heute vor neuen Herausforderungen: Wie können wir die eigenen Zähne, Implantat Versorgungen oder Zähne mit technisch hochwertigem Zahnersatz weiterhin gesund erhalten?

 

Besonders im höheren Alter spielen chronische Erkrankungen, die regelmäßige Einnahme verschiedener Medikamente (Polypharmazie) sowie funktionelle Einschränkungen eine große Rolle. Hinzu kommen oft veränderte Ernährungsgewohnheiten und strukturelle sowie sozioökonomische Faktoren, die das Risiko für Zahnerkrankungen und allgemeine Mundgesundheitsprobleme erhöhen. Krankheiten wie (Wurzel-)Karies und Parodontitis können nicht nur das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigen, sondern auch die allgemeine Gesundheit.

 

Um eine vorausschauende Versorgung und Therapieplanung in den verschiedenen Lebensphasen des Alterns zu gewährleisten, ist es entscheidend, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten in diesen Phasen zu verstehen. Dabei ist das chronologische Alter, also die Anzahl der Jahre, nur ein begrenzter Maßstab. Es gibt beispielsweise vital-aktive Hochbetagte, die keine funktionellen Einschränkungen im Alltag haben, während jüngere Menschen aufgrund chronischer Erkrankungen bereits früh auf Unterstützung angewiesen sind. Das biologische Alter beschreibt die natürlichen Veränderungen im Körper durch das Altern, während das psychologische Alter die Handlungen und die Selbstwahrnehmung und das Verhalten der Patienten widerspiegelt. Hinzu kommen akute oder chronische Alterskrankheiten, die ebenfalls Einfluss auf die Versorgung haben. Interessanterweise kann das subjektiv empfundene Ausmaß dieser Alterserscheinungen bei verschiedenen Menschen stark variieren – was für den einen eine geringfügige Einschränkung darstellt, kann für den anderen bereits zu erheblichen Beeinträchtigungen führen.

 

Zu Beginn muss geklärt werden, wer denn zu den vulnerablen Patientengruppen gehört. Diese Gruppe umfasst Patienten, die einen Pflegegrad nach § 15 SGB XI haben oder Eingliederungshilfe nach § 99 SGB IX erhalten. Wenn bei diesen Patienten die Fähigkeit zur Mundhygiene entweder eingeschränkt oder nicht vorhanden ist oder die Patienten nicht Kooperationsfähigkeit sind, können sie der verkürzten Behandlungsstrecke zugeordnet werden.

 

Aufgrund der hohen Kosten professioneller Pflege hat sich das Konzept der ambulanten Pflege (auch Pflege zu Hause) stärker gefördert, um den stationären Pflegeaufwand zu verringern. Fast 82 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden ambulant versorgt, wobei über 70 Prozent dieser Pflege durch Angehörige übernommen wird. Die Multimorbidität – also das gleichzeitige Vorliegen mehrerer chronischer Erkrankungen – in den späteren Lebensphasen ist sehr individuell ausgeprägt und führt zu einer erhöhten

Anfälligkeit. Von daher haben wir in jeder Praxis viele Patienten mit einem Pflegegrad.

In der täglichen Praxis begleiten wir in der Regel Patienten im Pflegegrad 1-3, was sich in jedem Praxisalltag gut implementieren lässt. Da sind wir Prophylaxe Mitarbeiter mehr denn je gefragt, denn es reicht nicht aus auf dem Anamnesebogen nach dem Pflegegrad zu fragen. Häufig wird diese Frage nicht vom Patienten für wichtig empfunden und bleibt unbeantwortet. Daher ist es wichtig mit unseren Patienten den Hintergrund zu beleuchten, warum der Pflegegrad für uns in der Praxis eine Relevanz hat. Sind wir mal ehrlich gerade für ältere Menschen, ist es häufig sehr schwierig 4x im Jahr aufgrund der Kosten Unterstützende Parodontitis Therapien oder Präventive Sitzungen wahrzunehmen. Um unsere Patienten adäquat und bedarfsgerecht zu betreuen ist erstmal Aufklärung und individuelle Beratung gefragt.

 

/// Doch wie können wir das alles in der Praxis umsetzen und welche Möglichkeiten stehen uns zur Verfügung?

Anders als in der PAR-Richtlinie muss die Behandlung nicht bei der Krankenkasse beantragt werden. Es gibt ein spezielles Formular, welches vor der Behandlung nur ausgefüllt werden muss. In diesem Formular trägt man die geplante Behandlung gegenüber der Krankenkasse ein und erhält für diese Patientengruppe einen gleichberechtigten und barrierearmen Zugang für die Parodontitis-Therapie. Es ist keine Genehmigungspflicht, sondern nur eine Anzeigepflicht erforderlich. Das heißt die Behandlung kann in der gleichen Sitzung begonnen werden. Achtung die Leistungen müssen mit S gekennzeichnet werden, denn diese werden nicht budgetiert. Ausnahme:  Patienten, die einem Pflegegrad zugeordnet sind, aber nicht motorisch eingeschränkt sind und aus anderen Gründen einen Pflegegrad haben, können die normale PA-Therapie in der Behandlungsstrecke durchlaufen. Wichtig zu wissen in diesem Fall muss die PA-Therapie wie gewohnt beantragt werden. Vorteil für unseren Patienten. Der Patient wird gemäß der Klassifikation Risikoorientiert betreut. Auf dem PA-Plan müssen diese Leistungen mit P (Pflegegrad) oder E (Eingliederungshilfe) gekennzeichnet werden. Denn auch diese Leistungen belasten nicht unser Budget.

 

/// Wie genau sollte der Parodontalbefund sein?

Erforderlich sind gemäß den Richtlinien zwar nur 2 Messstellen, doch reicht das aus? Um unsere Patienten bestmöglich begleiten, zu können empfiehlt es sich, wie gewohnt 6 Messpunkte zu dokumentieren. Patienten, die wir seit Jahren betreuen, sind mit unseren Abläufen vertraut, das stellt keine besondere Herausforderung dar. Auch nicht bei z.B. demenziell erkrankten Menschen, die die Abläufe gewohnt sind, da die Befundaufnahme mit der PS Voice nicht viel Zeit in Anspruch nimmt. Neu ist die Behandlungsstrecke der Vulnerablen Gruppen die nun in ParoStatus.de implementiert ist. So können Patienten weiterhin auf unserem gewohnten hohen Niveau langfristig betreut werden. Es ist nicht nötig die Patienten in die Klassifikation einzuteilen, da alle Patienten automatisch dem Grad B zugeordnet werden. Nach AIT beziehungsweise CPT erfolgt der Übergang in die UPT-Strecke: entsprechend dem Grad B der regulären PAR-Strecke bedeutet dies zwei UPT-Sitzungen pro Kalenderjahr.

 

Das Fehlen von ATG, MHU, BEV sowie UPT a und b in der verkürzten Behandlungsstrecke im Vergleich zur regulären Strecke soll durch verschiedene präventionsorientierte Leistungen kompensiert werden: die Erhebung des Mundgesundheitsstatus, der individuelle Mundgesundheitsplan (174a) und die Mundgesundheitsaufklärung (174b). In Übereinstimmung mit der Richtlinie wurden hierbei die in § 22a SGB V ausdrücklich vorgesehenen Leistungen umgesetzt, wodurch neben der kurativen Therapie auch präventive Maßnahmen gestärkt werden. Dennoch stellt sich die Frage, ob die beschriebenen Leistungen nach § 174a/b, die jedem Patienten mit Pflegegrad oder Eingliederungshilfe auch ohne parodontaler Erkrankung zur Verfügung stehen, ausreichen, um dem besonderen Betreuungsbedarf gerecht zu werden, der sich aus der Kombination von Mundhygienedefiziten und Pflegebedarf ergibt.

 

 

/// Fazit

Die bestmögliche Durchführung der parodontalen Therapie und der größtmögliche klinische Nutzen sind bei Menschen mit Pflegebedarf sicher nur zu erreichen, wenn sie unter Einbeziehung der Patienten selbst und aller an der Pflege Beteiligten erfolgen. Die Mundpflege erfordert im Vergleich zu früher mehr Kompetenzen. Zähne, Implantate und technisch aufwendiger Zahnersatz auf der einen Seite sowie Multimorbidität und Polymedikation auf der anderen Seite stellen große Herausforderungen im Praxisalltag da. Von daher ist es wichtig die verkürzte PA-Strecke in unser Behandlungskonzept zu implementieren. Schulungsmaterialien stehen digital auf der Plattform mund-pflege.net zur Verfügung. Lohnenswert ist in jedem Fall den Newsletter zu abonnieren.

Als DGDH möchten wir uns im Zuge des neuen Expertenstandards zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege als starker Partner einbringen, wenn es darum geht, sowohl in den Praxen als auch zum Beispiel im Rahmen von Schulungen für Pflegekräfte die Mundgesundheit der Menschen mit Unterstützungsbedarf zu fördern. Der nächste Interprofessionelle Workshop „Pflege und Zahnmedizin im Dialog“ mit Frau Prof. Horn und Dr. Elmar Ludwig der aus einer Kombination online und Präsenz weiter entwickelt wurde findet in diesem Jahr sogar zweimal statt. Alle Termine können unter www.dgdh.de/fortbildungen eingesehen und auf unsere Seite gebucht werden.

 

– AUTORIN
Heike Wilken, Dentalhygienikerin

 

– KONTAKT
Deutsche Gesellschaft für DentalhygienikerInnen (DGDH) e.V.
Fasanenweg 14
48249 Dülmen
Internet: www.dgdh.de