Aktuelles zur Werbung mit Fernbehandlungen

Rechtsanwältin Jennifer Jessie

 

In Zeiten von Corona spielt das Thema Digitalisierung eine bedeutsame Rolle. Nicht nur in der Privatwirtschaft sind Homeoffice und Remote Work in vielen Bereichen wesentlicher Bestandteil des Arbeitsalltags geworden. Auch im Gesundheitsbereich wurden digitale Angebote mit deutlichem Anstieg in Anspruch genommen.

Jennifer Jessie

 

Nach einer Analyse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) haben fast 1,2 Millionen Patienten im 2. Quartal 2020 per Videosprechstunde Ärzte und Psychotherapeuten konsultiert. Im ersten Quartal 2020 waren es noch 203.000. Auch wenn der deutliche Anstieg erkennbar mit der Corona-Pandemie zusammenhängt, wäre es trotzdem naiv zu glauben, dass die Patienten zukünftig die Vorteile der Digitalisierung nicht weiter in Anspruch nehmen wollen würden. Das Thema Videosprechstunde und Fernbehandlung wird auch in Zukunft ein relevanter Baustein in der Gesundheitsversorgung sein. Vorteile ergeben sich auch zunehmend für Zahnarztpraxen. Auch hier gibt es Behandlungsbereiche, die per Videosprechstunde durchaus komfortabel und effektiv bedient werden können.

 

In dem Zusammenhang stellen sich wie immer auch Folgefragen. Zum Beispiel, ob mit solchen Angeboten auch geworben werden kann, um interessierte Patienten darüber zu informieren, dass es solche digitalen Möglichkeiten der Arztkonsultation gibt? Was sagen die Gerichte dazu?

 

/// Werbung mit Fernbehandlung nach § 9 HWG

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hatte sich kürzlich mit einem Fall zu befassen, in dem es um die Werbung für einen Dienst ging, der Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellte. Der Patient musste hierfür einen Fragenkatalog beantworten und wurde, wenn die Antworten des Patienten auf eine Krankheit schließen ließen, an einen Tele-Arzt weitergeleitet. Es ging um die Frage, ob in dem Online-Dienst ein nach § 9 S. 2 Heilmittelwerbegesetz (HWG) zulässiger Ausnahmetatbestand vom grundsätzlichen Fernbehandlungsverbot vorliegt.

 

Gemäß § 9 S. 1 HWG ist die Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht, unzulässig. Fernbehandlung sind demnach grundsätzlich verboten.

 

Eine Ausnahme regelt § 9 S. 2 HWG nur für Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

 

/// Restriktives Urteil des OLG Hamburg

Das Urteil des OLG Hamburg vom 05.11.2020 (AZ: 5 U 175/19) fiel vor dem Hintergrund dieser Regelung restriktiv aus. Der Senat sah es insbesondere als problematisch an, dass erst dann eine Weiterleitung an den Arzt erfolgte, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine Erkrankung vorlagen. Zudem konnten Patienten keine Nachfragen stellen. Das Gericht kritisierte im Ergebnis, dass das im Streitfall zu beurteilende Geschäftsmodell keine ausreichende Möglichkeit dafür bietet, dass der diagnostizierende Arzt sich einen umfassenden Eindruck vom Patienten machen könne und entschied, dass „die Werbung für derartig verkürzte Behandlungsmethoden (…) grundsätzlich unterbunden werden (soll), unabhängig davon ob die Fernbehandlung im Einzelfall erlaubt ist.“

 

Durchaus bemerkenswert ist der Ansatz des Gerichts, dass trotz des digitalen Fortschritts, der in der Gesundheitsbranche erzielt wurde und wird, nach wie vor bei einer Fernbehandlung von einer verkürzten und damit „schlechteren“ Behandlung ausgegangen wird.

 

/// Konsequenzen für die Praxis

Tatsächlich war die Werbung für die Fernbehandlung lange Zeit gesetzlich untersagt, auch wenn die Fernbehandlung selbst zulässig sein konnte. Den Ausnahmetatbestand des § 9 S. 2 HWG gab es nicht. Er wurde erst im Dezember 2019 eingeführt. Problematisch bleibt allerdings, dass auch der nunmehr geltende Ausnahmetatbestand nicht das Problem lösen wird, dass das Recht der Wirklichkeit immer ein Stück hinter her hinkt. Denn gemäß § 9 S. 2 HWG ist die Werbung für Fernbehandlungen zwar unter der Prämisse erlaubt, dass nach allgemein anerkanntem fachlichen Standard ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Der anerkannte fachliche Standard ergibt sich allerdings vor allem auch aus Erfahrungswerten aus der Vergangenheit. Wie soll man also einen Sachverhalt im Hinblick auf einen allgemein anerkannten fachlichen Standard bewerten, wenn der Standard quasi noch in der Entwicklungsphase ist? Der Umgang mit der Auslegung dieser Regelung wird daher spannend bleiben.

 

Zum derzeitigen Zeitpunkt lässt sich daher nur sagen, dass Ärzte in jedem Einzelfall genau zu prüfen haben, ob eine Behandlung ausschließlich über Kommunikationsmedien ärztlich vertretbar ist oder nicht. Im Rahmen der Bewerbung von Fernbehandlungen muss dies dann auch deutlich kommuniziert werden.

 

Im zahnärztlichen Bereich erfordern zahnärztlichen Behandlungen sowieso den direkten Arzt-Patienten-Kontakt. Der Einsatz für die Videosprechstunde z.B. ist daher vor allem als Ad-On in Bereichen zu sehen, die neben der direkten zahnärztlichen Behandlung auf dem Patientenstuhl anfallen. So insbesondere Aufklärungsgespräche, Besprechung von Heil- und Kostenplänen, Besprechung von Behandlungsverläufen und so weiter. Entsprechend sollte dies dann auch transparent nach außen kommuniziert werden und selbstverständlich die sorgfältige Prüfung und Abwägung im Einzelfall gleichwohl gewahrt bleiben.

 

/// Praxistipp

Digitale Angebote zur Fernbehandlung bzw. Fernbetreuung von Patienten z.B. über die Videosprechstunde werden sich in der Zukunft auch „nach Corona“ weiter etablieren. Auch wenn die Rechtsprechung insofern noch eine restriktivere Haltung einnimmt und die Bewerbung von Fernbehandlungsangeboten kritisch beäugt, hängt es letztlich vor allem davon ab, dass Ärzte und Zahnärzte auch mittels Digitalangeboten ihrer ärztlichen Sorgfaltspflicht hinreichend nachkommen und ihre Entscheidungen in jedem Einzelfall ärztlich vertretbar sind. Wie und in welchem Umfang man digitale Anwendungen für sich, die Praxis und die Patienten zu Nutze machen und dann ggf. auch bewerben möchte, sollte man daher im Vorfeld gründlichkonzeptionieren und idealerweise auch vorab rechtlich prüfen lassen, um offensichtliche Unzulänglichkeiten von vorne herein auszuräumen.

 

– AUTORIN
Jennifer Jessie
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht

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