Direkte Kompositrestaurationen haben sich als praxistaugliche Amalgamalternative zur Versorgung von Defekten im Seitenzahnbereich etabliert. Die gute Leistungsfähigkeit dieser Materialien konnte in vielen klinischen Studien nachgewiesen werden.Komposite werden im Regelfall in einer aufwendigen und zeitintensiven Schichttechnik appliziert. Allerdings besteht in der Zahnärzteschaft eine große Nachfrage nach möglichst einfach und sicher bzw. schnell und somit ökonomischer zu verarbeitenden direkten Kompositwerkstoffen für den Seitenzahnbereich. Dieser Bedarf kann durch Bulk-Fill-Komposite mit gesteigerten Durchhärtungstiefen abgedeckt werden.
Prof. Dr. Jürgen Manhart
Ein Trend in der Kompositentwicklung der letzten Jahre besteht darin, die Anwendung der Komposite im Seitenzahnbereich zu vereinfachen und gleichzeitig sicherer zu machen [1-7]. Üblicherweise werden lichthärtende Komposite aufgrund ihrer Polymerisationseigenschaften und der limitierten Durchhärtungstiefe in einer Schichttechnik mit Einzelinkrementen von max. 2 mm Dicke verarbeitet. Die einzelnen Inkremente werden jeweils separat mit Belichtungszeiten von 10-40 s polymerisiert, je nach Lichtintensität der Lampe, der Farbe bzw. dem Transluzenzgrad der entsprechenden Kompositpaste und der Art und Konzentration des in der Kompositpaste enthaltenen Photoinitiators [8]. Dickere Inkrementschichten führten mit den bis vor Kurzem verfügbaren Materialien zu einer ungenügenden Polymerisation des Kompositwerkstoffs und somit zu schlechteren mechanischen und biologischen Eigenschaften [9-11]. Mit der Schichttechnik lässt sich zudem durch eine günstige Ausformung der Einzelinkremente in der Kavität ein niedrigerer C-Faktor (Configuration Factor = Verhältnis der gebondeten zu freien Kompositoberflächen) realisieren. Somit können durch möglichst viel frei schrumpfende Kompositoberflächen auch der polymerisationsbedinge Schrumpfungsstress und dessen negative Auswirkungen auf die Restauration – wie Ablösung des Komposits von den Kavitätenwänden, Randspaltbildung, Randverfärbungen, Sekundärkaries, Schmelzfrakturen, Höckerdeflexionen, Rissbildung in den Zahnhöckern und Hypersensibilitäten – minimiert werden [9, 12].
Vor allem bei großvolumigen Seitenzahnkavitäten kann das Einbringen des Komposits in 2 mm dicken Schichten ein sehr zeitintensives und techniksensitives Vorgehen sein [13]. Deshalb besteht bei vielen Zahnärzten der Wunsch nach einer Alternative zu dieser komplexen Mehrschichttechnik, um Komposite zeitsparender und somit wirtschaftlicher und gleichzeitig mit größerer Anwendungssicherheit verarbeiten zu können [4, 7, 14, 15]. Hierfür wurden in den letzten Jahren die Bulk-Fill-Komposite entwickelt, die bei entsprechend hoher Lichtintensität der Polymerisationslampein einer vereinfachten Applikationstechnik in Schichten von 4-5 mm Dicke mit kurzen Inkrementhärtungszeiten von 10-20 s schneller in der Kavität platziert werden können [4, 8, 16-19].
Die Bulk-Fill-Komposite werden üblicherweise in zwei Varianten angeboten,die eine unterschiedliche Anwendungstechnik erfordern:
- Niedrigvisköse, fließfähige Bulk-Fill-Komposite, die gut an den Kavitätenboden und die Kavitätenwände anfließen und die Innenwinkel und -kanten der Präparationen optimal benetzen. Diese fließfähigen Bulk-Fill-Komposite müssen an der Oberfläche von einer zusätzlichen Deckschicht (2 mm Dicke) aus einem seitenzahntauglichen, herkömmlichen Hybridkomposit geschützt werden [13, 20, 21], da ihr reduzierter Füllkörperanteil und die vergleichsweise großen Füllkörperfür einen geringen Polymerisationsstress optimiert sind. Dies resultiert allerdings im Vergleich zu traditionellen Hybridkompositen in schlechteren mechanischen und ästhetischen Eigenschaften, wie einem geringeren E-Modul, einer höheren Abrasionsanfälligkeit, einer größeren Oberflächenrauigkeit sowie einer schlechteren Polierbarkeit [8, 22-26].Darüber hinaus dient die Deckschicht zur Ausgestaltung einer funktionellen okklusalen Konturierung, die mit einer fließfähigen Konsistenz kaum oder nur sehr schwierig zu gestalten wäre.
- normal- bis hochvisköse, standfeste, modellierbare Bulk-Fill-Komposite, die bis an die okklusale Oberfläche reichen können und keine schützende Deckschicht und somit kein zusätzliches Kompositmaterial benötigen.
Bulk-Fill-Komposite in beiden Viskositätsvarianten erlauben aufgrund optimierter Durchhärtungstiefen Schichtstärken von 4-5 mm. Dies bedeutet, dass die hochviskösen Vertreter in einer Kavitätentiefe, die maximal der Durchhärtungstiefe des Materials entspricht, in einer Einschichttechnik eingesetzt werden können. Liegen tiefere Defekte vor oder werden die fließfähigen Varianten eingesetzt, so erfordert dies immer ein zweiphasiges Vorgehen mit einer zusätzlichen Kompositschicht.
Das hochvisköse Bulk-Fill-Komposit GrandioSO x-tra (VOCO, Cuxhaven) auf Dimethacrylatbasis verfügt über eine nanohybride Füllertechnologie mit einem anorganischen Füllkörperanteil von 86 Gew.-%. Es ist in vier Farben (universal, A1, A2, A3) verfügbar und weist eine geringe Polymerisationsschrumpfung von 1,4 Vol.-% bei gleichzeitig niedrigem Schrumpfungsstress (5,16 MPa) auf. GrandioSO x-tra kann in Schichten von max. 4 mm appliziert und je Inkrement in 10 s (Farbe U) bzw. 20 s (Farbe A1, A2, A3) gehärtet werden (Intensität Polymerisationslampe > 1.000 mW/cm²). Das Material verfügt mit einer Biegefestigkeit von 186 MPa über eine hohe Stabilität und sichert durch eine geringe Wasseraufnahme (10 µg/mm³) eine gute Farbstabilität und stabile mechanische Eigenschaften.
/// Klinischer Fall
Eine 59-jährige Patientin erschien in unserer Sprechstunde zum Austausch der Amalgamfüllungen in den Unterkieferprämolaren 44 und 45 (Abb. 1). Beide Zähne reagierten auf den Kältetest ohne Verzögerung sensibel und zeigten auf den Perkussionstest ebenfalls keine Auffälligkeiten. Nach der Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen und deren Kosten entschied sich die Patientin für plastische Füllungen mit dem hochviskösen Bulk-Fill-Komposit GrandioSO x-tra (VOCO GmbH, Cuxhaven).
Zu Beginn der Behandlung wurden die betreffenden Zähne mit fluoridfreier Prophylaxepaste und einem Gummikelch gründlich von externen Auflagerungen gesäubert. Anschließend wurde die passende Kompositfarbe an noch feuchten Zähnen ermittelt. Das alte Füllungsmaterial wurde nach der Verabreichung von Lokalanästhesie vorsichtig aus den Zähnen entfernt (Abb. 2). Nach dem Exkavieren von kariösen Zahnanteilen wurden die Präparationen mit Feinkorndiamanten finiert. Nachfolgend wurden das Behandlungsareal durch das Anlegen von Kofferdam isoliert und im Anschluss die Kavitäten mit Teilmatrizen eingegrenzt (Abb. 3).
Für die adhäsive Vorbehandlung der Zahnhartsubstanzen wurde das Universaladhäsiv Futurabond M+ (VOCO GmbH, Cuxhaven) ausgewählt.Bei Futurabond M+ handelt es sich um ein modernes Einflaschen-Universaladhäsiv, das mit allen gebräuchlichen Konditionierungstechniken und sämtlichen derzeit angewendeten Adhäsivstrategien kompatibel ist („Multi-mode“-Adhäsiv): der phosphorsäurefreien Self-Etch-Technik und beiden phosphorsäurebasierten Etch-and-Rinse-Konditionierungstechniken (selektive Schmelzätzung bzw. komplette Total-Etch-Vorbehandlung von Schmelz und Dentin mit Phosphorsäure). Auch bei diesen Universaladhäsiven resultiert die vorangehende Phosphorsäurekonditionierung des Zahnschmelzes (selektive Schmelzätzung) in einer besseren Haftvermittlung [27-29]. Im Gegensatz zu den klassischen Self-Etch-Adhäsiven verhalten sich die neuen Universaladhäsive unempfindlich gegenüber einer Phosphorsäureätzung des Dentins [30-34]. Die Möglichkeit, bei Verwendung dieser Universaladhäsive das Applikationsprotokoll in Abhängigkeit von intraoralen Notwendigkeiten ohne Wechsel des Haftvermittlers jederzeit kurzfristig variieren zu können, reduziert die Techniksensitivität und gibt dem Behandler die nötige Freiheit, auf unterschiedliche klinische Situationen (z.B. pulpanahes Dentin, Blutungsgefahr der angrenzenden Gingiva, etc.) flexibel reagieren zu können.
Im vorliegenden Fall wurde die Total-Etch-Vorbehandlung von Schmelz und Dentin mit Phosphorsäure eingesetzt. Hierzu wurde 35%-ige Phosphorsäure (Vococid, VOCO GmbH, Cuxhaven) zuerst zirkulär entlang der Schmelzränder aufgetragen und wirkte dort für 15 s ein. Danach wurde zusätzlich das gesamte Dentin der Kavitäten mit Ätzgel bedeckt (total etch) (Abb. 4). Nach weiteren 15 s Einwirkzeit wurden die Säure und die damit aus der Zahnhartsubstanz herausgelösten Bestandteile gründlich mit dem Druckluft-Wasser-Spray für 20 s abgesprüht und anschließend überschüssiges Wasser vorsichtig mit Druckluft aus der Kavität verblasen. Abbildung 5 zeigt die Applikation einer reichlichen Menge des Universalhaftvermittlers Futurabond M+ auf Schmelz und Dentin mit einem Microbrush. Das Adhäsiv wurde in jeder Kavität für 20 s mit dem Applikator sorgfältig in die Zahnhartsubstanzen einmassiert. Nachfolgend wurde das Lösungsmittel mit trockener, ölfreier Druckluft vorsichtig verblasen (Abb. 6) und der Haftvermittler danach mit einer Polymerisationslampe für jeweils 10 s ausgehärtet (Abb. 7). Es resultierten glänzende und überall gleichmäßig von Adhäsiv benetzte Kavitätenoberflächen (Abb. 8). Dies sollte vor dem Einbringen des Restaurationsmaterials sorgfältig kontrolliert werden, da matt erscheinende Kavitätenareale ein Indiz dafür sind, dass nicht ausreichend Adhäsiv auf diese Stellen aufgetragen wurde. Im schlimmsten Fall könnte sich dies in einer verminderten Haftung der Füllung an diesen Bereichen auswirken. Parallel dazu einhergehend wäre auch eine optimale Versiegelung betroffener Dentinareale gefährdet. Eine mangelhafte Versiegelung einzelner Dentinabschnitte kann bei vitalen Zähnen zu persistierenden postoperativen Hypersensibilitäten führen. Diese Komplikation, die oft den Austausch einer neu angefertigten Restauration bedingt, lässt sich aber in den meisten Fällen durch ein sorgfältiges Adhäsivprotokoll vermeiden. Werden daher bei der visuellen Kontrolle derartige, nicht von Adhäsiv abgedeckte, matt aussehende Areale entdeckt, so wird dort korrigierend selektiv nochmals Haftvermittler aufgetragen, um die Adhäsivschicht zu optimieren.
Das hochvisköse Bulk-Fill-Komposit GrandioSO x-tra (VOCO, Cuxhaven) wurde im Bereich des distalen Kastenbodens des zweiten Prämolaren eingebracht (Abb. 9). Die Kavität wurde mit dem ersten Inkrement bis etwa zur Hälfte der Defekthöhe aufgefüllt (Abb. 10). Die erste Kompositschicht wurde für 20 s mit einer Polymerisationslampe (Lichtintensität ≥ 1.000 mW/cm²) ausgehärtet (Abb. 11). Nachfolgend wurde mit dem nächsten Inkrement GrandioSO x-tra das restliche Kavitätenvolumen (maximale Schichtstärke 4 mm) komplett in der Bulk-Fill-Technik aufgefüllt (Abb. 12). Diese zweite Schicht wurde wiederum für 20 s mit Licht polymerisiert (Abb. 13). Anschließend wurde die Kavität im ersten Prämolaren in der gleichen Art und Weise mitGrandioSO x-tra gefüllt (Abb. 14 bis 16).
Nach Entfernung der Metallmatrizen wurden die Restaurationen auf Imperfektionen kontrolliert (Abb. 17) und anschließend für jede Füllung noch zusätzlich im Approximalraum für jeweils 10 s von mesiobukkal (Abb. 18) und mesiolingual (Abb. 19) nachbelichtet.
Nach Abnahme des Kofferdams wurden die direkten Bulk-Fill-Kompositrestaurationen sorgfältig mit rotierenden Instrumenten (okklusal) und abrasiven Scheibchen (approximal) ausgearbeitet und die statische und dynamische Okklusion adjustiert. Danach wurde mit diamantimprägnierten Silikonpolierern (Dimanto, VOCO GmbH, Cuxhaven)glatte und glänzende Oberflächen der Restaurationen erzielt. Abbildung 20 zeigt die fertigen direkten Kompositrestaurationen, welche die ursprünglichen Zahnformen mit anatomisch funktionellen Kauflächen, physiologisch gestalteten Approximalkontakten und ästhetisch akzeptabler Erscheinung wiederherstellt. Zum Abschluss wurde mit einem Schaumstoffpellet Fluoridlack (Bifluorid 12, VOCO GmbH, Cuxhaven) auf die Zähne appliziert.
/// Fazit
Die Bedeutung direkter Füllungsmaterialien auf Kompositbasis wird in der Zukunft weiter zunehmen. Es handelt sich hierbei um wissenschaftlich abgesicherte und durch die Literatur in ihrer Verlässlichkeit dokumentierte, hochwertige permanente Versorgungen für den kaubelasteten Seitenzahnbereich [35-42]. Gemäß der aktuellen S1-Leitlinie der DGZ und der DGZMK zu Kompositrestaurationen im Seitenzahnbereich aus dem Jahr 2016 (AWMF-Registernummer: 083–028) können diese Restaurationen nach der aktuellen Datenlage zur Versorgung von Klasse-I- und -II-Kavitäten erfolgreich im Seitenzahnbereich eingesetzt werden [13].
Die Ergebnisse einer umfangreichen Übersichtsarbeit haben gezeigt, dass die jährliche Verlustquote von Kompositfüllungen im Seitenzahnbereich (2,2%) statistisch nicht unterschiedlich zu der von Amalgamfüllungen (3,0%) ist [37]. Der zunehmende wirtschaftliche Druck im Gesundheitssystem erfordert für den Seitenzahnbereich neben den zeitaufwändigen High-End-Restaurationen auch eine einfachere, schneller zu erbringende und somit kostengünstigere Basisversorgung. Hierfür sind seit einiger Zeit Bulk-Fill-Komposite mit optimierten Durchhärtungstiefen auf dem Markt, mit denen man in einer, im Vergleich zur 2 mm-Schichttechnik mit traditionellen Hybridkompositen, wirtschaftlicheren Prozedur klinisch und ästhetisch akzeptable Seitenzahnfüllungen legen kann [43, 44].
– AUTOR
Prof. Dr. Jürgen Manhart, München
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