Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellte schon früh klar, dass Wasch- und Umkleidezeiten keine Arbeitszeiten sind, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Denn die Arbeitszeit beginnt grundsätzlich, wenn der Arbeitgeber – also der Praxisinhaber – in der Lage ist, die Arbeitskraft seiner Mitarbeiter zu verwerten. Doch gilt dieser Grundsatz auch für Zahnarztpraxen, in denen es einige Vor- und Nachbereitungen durch die Mitarbeiter zu organisieren gibt? Dieser Beitrag gibt Aufschluss darüber, womit die Arbeitszeit in Zahnarztpraxen beginnt und wann sie tatsächlich endet.
/// Vor- und Nachbereitungszeiten = Arbeitszeiten
Regelmäßig wird davon ausgegangen und dementsprechend gelebt, dass die Arbeitszeit in Zahnarztpraxen mit Beginn der Sprechstundenzeiten anfängt. Selbstverständlich geht der Praxisinhaber ab diesem Zeitpunkt davon aus, dass er dann die Arbeitskraft seiner Mitarbeiter verwerten kann, denn dann kommen Patienten, die zunächst am Empfang aufgenommen und sodann ins Behandlungszimmer gebracht und behandelt werden. Ohne Patienten keine Arbeit in Praxen – das mag logisch erscheinen, ist aber falsch.
Denn tatsächlich möchte der Praxisinhaber, dass zum Zeitpunkt des Beginns der Sprechstunde bereits alle Mitarbeiter umgezogen sind und ihre Arbeitskleidung tragen sowie dass sämtliche PC`s hochgefahren und einsatzbereit sind, sodass auch wirklich angefangen werden kann zu arbeiten, wenn die ersten Patienten in der Praxis erscheinen. Das bedeutet, dass vor Beginn der Sprechstunde bereits einige Vorbereitungen zu treffen sind, die Praxismitarbeiter müssen daher schon mindestens 15 Minuten vor Sprechstundenbeginn an ihrem Arbeitsplatz sein. Dasselbe gilt natürlich für die Zeit nach Ende der Sprechstunde, denn erst wenn der letzte Patient die Praxis verlassen hat, können die Computer wieder heruntergefahren werden und die Mitarbeiter sich umziehen.
Oft werden wir in der anwaltlichen Beratung gefragt, ob diese Vor- und Nachbereitungszeiten auch zu vergütende Arbeitszeiten sind. Die Antwort ist klar: ja. Dies hat das BAG in seiner Rechtsprechung über Jahre hinweg immer wieder bestätigt – auch und vor allem für den Gesundheitsbereich.
/// Der entscheidende Unterschied im Gesundheitswesen im Vergleich zu anderen Branchen
Nun fragt man sich: Warum wird hier ein Unterschied gemacht, wenn Wasch- und Umkleidezeiten doch grundsätzlich keine Arbeitszeiten sind, wie anfangs ausgeführt? Der Grund dafür besteht darin, dass zum einen in Arbeits- oder auch bestimmten Tarifverträgen geregelt sein kann, dass der Arbeitnehmer 15 Minuten vor „eigentlichem“ Arbeitsbeginn in der Praxis zu erscheinen hat und diese Zeiten als Arbeitszeiten vergütet werden. Zum anderen besteht der Unterschied aber insbesondere darin, dass ein Arbeitgeber im Gesundheitswesen regelmäßig bestimmte Arbeitskleidung vorschreibt und das Umkleiden vor allem aus hygienischen Gründen im Betrieb bzw. der Praxis zu erfolgen hat.
Das BAG hat bereits allgemein hierzu ausgeführt, dass Arbeit jede Tätigkeit sei, die der Erfüllung eines fremden Bedürfnisses diene. Dazu gehöre eben auch das Umkleiden, wenn der Arbeitgeber eine bestimmte Berufskleidung vorschreibe, das Umkleiden im Betrieb stattfinden müsse und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfülle. Das Anziehen vorgeschriebener Dienstkleidung sei dann nämlich keine Arbeitszeit, wenn sie auch zu Hause angezogen und – ohne besonders aufzufallen – auch auf dem Weg zur Arbeit getragen werden könne.
Dargelegt hat das BAG diese Ausführungen bezogen auf einen Fall, den es im Jahre 2012 zu entscheiden hatte. Der diesem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt war der folgende: Eine OP-Krankenschwester musste jeden Tag bei Arbeitsbeginn zunächst in einem speziellen Umkleideraum im Untergeschoss des Krankenhauses die vorgeschriebene Dienstkleidung anlegen. Danach musste sie sich in den OP-Bereich begeben, so genannte Bereichskleidung anziehen und sich die Hände desinfizieren. Dienst- und Bereichskleidung durften nicht mit nach Hause genommen werden.
In seinen Entscheidungsgründen führte das Bundesarbeitsgericht neben dem bereits Dargelegten aus, dass das Umkleiden hier in erster Linie der Hygiene im OP diene und diese im Interesse des Arbeitgebers liege. Aus diesen Gründen urteilte das Gericht, dass die Umkleidezeit Arbeitszeit darstellt. Darüber hinaus war jedoch im zugrunde liegenden Fall auch die Wegezeit zwischen Umkleideraum (im Untergeschoss) und Arbeitsstelle (im OP) als Arbeitszeit zu vergüten.
Im Ergebnis entschied das BAG, dass diese Umkleide- und Wegezeiten nach zu vergüten sind. Die im zugrunde liegenden Fall geltend gemachten zweimal 15 Minuten pro Tag hatte das BAG durch einen Sachverständigen nachprüfen lassen. Ansonsten spielt in diesem Zusammenhang eine im Arbeitsvertrag geregelte Ausschlussklausel für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis eine Rolle.
In Zahnarztpraxen wird regelmäßig einheitliche Arbeitskleidung getragen. Auch, wenn diese lediglich beispielsweise aus einem Poloshirt und weißen Jeans besteht, wird man die Umkleidezeit hier ebenso als Arbeitszeit bewerten müssen. Denn zum einen werden diese Poloshirts zumindest den Praxisnamen oder sogar das Logo der Praxis aufgedruckt haben. Zum anderen ist es in solchen Fällen meistens so, dass die Arbeitskleidung zusammen gewaschen wird, um „Waschunfälle“ bei den Mitarbeitern zu Hause zu vermeiden und eine Einheitlichkeit beizubehalten, und die Kleidung daher meist in den Praxisräumen verbleibt. Ungeachtet dessen führt bereits ein Logo oder ein gut sichtbarer Name auf einem Shirt dazu, dass man davon ausgehen muss, dass diese Kleidung nicht privat getragen wird. Die Praxismitarbeiter erfüllen mit dem Tragen dieser Kleidung daher nicht auch ein privates bzw. eigenes Bedürfnis.
/// Welche Arbeiten genau fallen in die Vor- und Nachbereitung?
Gleiches gilt für die Zeiten, die benötigt werden, um sämtliche Computer und andere Geräte zu starten und in Betrieb zu bringen. Dies gilt sowohl für den Empfangs- und Aufnahmebereich als auch für die Behandlungsgeräte in den Behandlungsräumen. Ebenso wird heute meist die Patientenkartei elektronisch geführt, wofür man einen entsprechenden Computer im Behandlungszimmer benötigt.
Dabei handelt es sich ebenso um Maßnahmen, die notwendigerweise im Betrieb anfallen. Sie müssen abgeschlossen sein, bevor die Sprechstunde beginnt, um einen ordnungsgemäßen Praxisablauf gewährleisten zu können. Mithin handelt es sich um Arbeitszeit.
/// Fazit:
Umkleidezeiten und andere Vor- und Nachbereitungszeiten wie z.B. die Dauer des Startvorgangs eines Computers, die notwendigerweise und/oder auf Grund des Wunsches, einer „Anweisung“ des Praxisinhabers in der Zahnarztpraxis anfallen, sind Arbeitszeiten, die zu vergüten sind. Wenn das bisher nicht so gehandhabt wurde, sind diese „Extraminuten“ am Tag nach zu vergüten. Dabei spielt die Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag – soweit vereinbart – eine wesentliche Rolle. Berücksichtigt werden muss dies bereits bei der Aufstellung von Dienstplänen bzw. der Einteilung von Schichten. An diesem Beispiel zeigt sich wieder einmal, wie wichtig die Gestaltung von Arbeitsverträgen und die arbeitsrechtliche Organisation in einer Zahnarztpraxis ist, denn wenn die Vor- und Nachbereitungszeiten von vornherein als Arbeitszeiten berücksichtigt wurden, bleibt dem Praxisinhaber am Ende ein großer Betrag an nachzuzahlender Vergütung an in der Regel mehrere Mitarbeiter erspart.
– AUTORIN
Julia Wörner, LL.M.
Rechtsanwältin, Master of Laws (UW-Madison, USA)
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