Klinisches Management bei Dentinhypersensibilität (DHS)

Abb. 08 Reinigung der Interdentalräume

 

Wohlbefinden und Zufriedenheit des Patienten sollten auch bei klinischer Durchführung der Prophylaxe gewährleistet sein, indem bereits vorab wirksame und leistungsfähige Methoden gewählt werden. Das Wohlbefinden des Patienten ist dabei stets eines der vorrangigen Ziele. Daher sollte im Rahmen der oralen Rehabilitation auch auf Beschwerden geachtet werden, die durch Hypersensibilität hervorgerufen werden. Letztendlich können sich Hypersensibilitäten auf das emotionale Befinden und das gesamte soziale Leben des Betroffenen auswirken.

Wissenschaftliche Beiträge zeigen auf, wie wichtig es ist, alle physiologischen und psychologischen Aspekte bei bestehender Dentinhypersensibilität zu beurteilen, wozu zwingend auch ein individueller Behandlungsplan gehört.

 

/// Klinische Fallbeschreibung

/// ANAMNESE

Eine 38 Jahre alte Patientin klagte über verschiedene mittelschwere und diffuse Beschwerden, in Verbindung mit Zahnfleischreizungen und Blutungen an bestimmten Stellen in der Mundhöhle.

  • Allgemeine und spezielle Vorgeschichte

Die Patientin befand sich offensichtlich in einem guten allgemeinen Gesundheitszustand und wurde zu uns in die Klinik überwiesen. Die Patientin nahm nach eigenen Angaben keine Medikamente ein und war Raucherin mit mehr als 10 Zigaretten pro Tag. Es lag nach eigener Auskunft eine familiäre Vorbelastung durch „Parodontose“ vor. Die Patientin nimmt viele zuckerhaltige Speisen zu sich und konsumiert viel Fruchtsaft sowie frisch gepresste Säfte von Zitrusfrüchten, vorzugsweise eisgekühlt. Sie gab an, dass die letzte Kontrolle zwei Jahre zurückliege, und war der Meinung, dass sie zu Hause eine gute Zahnhygiene betreiben würde.

Sie gestand jedoch auch ein, Probleme mit dem Gebrauch von Zahnseide zu haben. Sie wurde gefragt, ob beim Verzehr von kalten und heißen Speisen oder Getränken etwaige Beschwerden, Schmerzen oder Empfindlichkeit auftreten würden. Die Patientin antwortete daraufhin, dass sie beim Verzehr von kalten und heißen Speisen oder Getränken mäßige und vorübergehende Beschwerden verspüren würde, diese aber in der Regel mit Wegfallen des Reizes wieder verschwänden.

/// BEFUNDE UND DIAGNOSE

  • Klinische und instrumentelle Befunde

Vor der Erstellung eines individuellen Behandlungsplans sollte im Detail der dentale und parodontale Zustand erhoben und beurteilt werden. Es wurden daher der klinische Plaque-Index, Sulcus-Blutungs-Index und Gingiva-Index bestimmt. Zudem konnten Konkremente in den Zahnzwischenräumen festgestellt werden. Bei der Patientin konnten keine kariösen Läsionen festgestellt werden. An der Oberfläche des Zahnschmelzes imponierten White Spots infolge eines Debondings nach Therapie mit festsitzenden kieferorthopädischen Geräten.

Die Schmerzen wurden mithilfe des Airblast-Tests beurteilt, um den Grad einer möglichen Dentinhypersensibilität zu bestimmen. Dabei konnte im Rahmen der Diagnostik eine generalisierte Hypersensibilität mit Score von 2 auf der Schiff-Skala und 5 auf der visuellen Analogskala festgestellt werden.

Nach eingehender Untersuchung und Bewertung der bei der Anamnese erhobenen Risikofaktoren, wie fehlerhafte häusliche Mundhygienemaßnahmen und eine zuckerreiche Ernährung, wurde der Fall zunächst fotografisch dokumentiert. Der Patientin wurde der klinische Ausgangszustand mit einer intraoralen Videokamera (Acteon SoproCare) gezeigt. Während des Aufklärungsgesprächs wurde die Patientin auf das Vorliegen eines bakteriellen Biofilms in den Zahnzwischenräumen aufmerksam gemacht (Abb. 002). Darüber hinaus wurde sie über die anstehende minimal-invasive Therapie und die dabei zur Anwendung kommenden Instrumente aufgeklärt.

/// Diagnose

  • Gingivitis – induziert durch dentalen Biofilm, sowie eine mittelschwere, diffuse Dentinhypersensibilität. 

/// Therapie

  • Abfolge der Behandlungsschritte

Zur Anwendung des D-BIOTECH-Verfahrens (Dental BIOfilm Detection Topographic Technique) wurde ein dreiphasiger Plaquerevelator auf die Zahnoberflächen aufgetragen, um die Topographie des vorhandenen bakteriellen Biofilms ermitteln zu können. Danach wurde eine minimal-invasive Vorgehensweise mit selektiver Politur, Pulverstrahl und Scalern gewählt. Um das Risiko einer Covid-19-Infektion zu reduzieren, wurden die in den behördlichen Auflagen genannten Maßnahmen ergriffen. Vorab wurde die Patientin gebeten, mit einer antiviralen Mundspüllösung zu spülen. In den Pulverstrahl- und Debridementphasen mit dem Combi-Touch Scaler (Mectron) wurde mit einer doppelten Absaugung gearbeitet. Wir setzten das Pulverstrahlgerät nur begrenzt ein und entschieden uns stattdessen, eine selektive Politur mit CleanJoy Zahnreinigungs- und Polierpasten (VOCO GmbH, Cuxhaven, Deutschland) mit unterschiedlichen Abrasionsstärken durchzuführen (Liebermann, et al. 2019).

Diese Pasten enthalten sowohl Fluorid (700 ppm), als auch Xylitol, so dass eine effektive remineralisierende Wirkung erfolgen kann. Schon durch die selektive Politur war es möglich, die Zahnschmelzoberflächen so zu polieren, dass bereits äußerliche Verfärbungen entfernt werden konnten. Die Verwendung eines Gummikelchs in Kombination mit den Polierpasten unterschiedlicher Körnungen und Abrasionsstärken hat sich bewährt. Die Zahnoberflächen wurden eingangs mit einem dreiphasigen Plaquerevelator behandelt, der die saure bakterielle Plaque, nämlich sowohl die älterere als auch die jüngere Plaque sichtbar machte. Im ersten Schritt dieser Plaqueentfernung wurde die grobe Paste mit der Kodierungsfarbe rot und einem RDA*-Wert von 195 mit hoher Reinigungsstärke und einem weichen Kelch appliziert. So konnten die persistierenden Verfärbungen und der ältere bakterielle Biofilm schonend, aber zuverlässig entfernt werden. Während der Anwendung der Polierpasten kann man sich gut an der Farbkodierung in Anlehnung an ein Ampelsystem orientierten, um die Politur selektiv durchzuführen. Im zweiten Schritt wurden die Bereiche, die keinen bakteriellen Biofilm aufwiesen, mit der Paste mittlerer Körnung, der Kodierungsfarbe gelb und einem RDA*-Wert von 127 behandelt, was einer Politur mit moderater Abrasion gleichkam. Im dritten Schritt erfolgte die selektive Politur mithilfe der feinen Paste mit der Kodierungsfarbe grün und einem RDA*-Wert von 16. Daran anschließend folgte die Applikation eines transparent-weißen Fluoridlacks (VOCO Profluorid Varnish) zur Desensibilisierung. VOCO Profluorid Varnish ist in der Lage, Bereiche auf der Schmelzoberfläche, in denen Calciumfluorid durch Erosion verlorengegangen ist, zu remineralisieren. Der Fluoridgehalt beträgt 22.600 ppm entsprechend 5 % Natriumfluorid (NaF). Der VPV-Lack zeichnet sich durch eine hohe Feuchtigkeitstoleranz und ausgezeichnete Adhäsion an den Zahnhartsubstanzen aus, was die Applikation erleichtert. Der VPV-Lack sollte als dünne Schicht auf die Oberfläche des Zahns aufgetragen werden. Dicke Schichten lösen sich leichter ab und bieten keinen therapeutischen Vorteil (Ortiz-Ruiz AJ, et al. 2021; Poggio C, et al. 2016).

Im Anschluss an die Behanbdlung sagte die Patienten aus, dass sie während der selektiven Politur keine Hypersensibilität verspürt habe. Das vorab beschriebene Vorgehen führt zu einer schnellen Desensibilisierung und der kontinuierlichen Freisetzung des im Lack enthaltenen Fluorids (Ravishankar P, et al. 2018).

Die selektive Politur mit der feinen Paste mit der Kodierungsfarbe grün und einem RDA*-Wert von 16 wurde auch beim Nachsorgetermin zwei Wochen später erneut durchgeführt. Danach wurde ebenso der VPV-Lack nochmals aufgetragen. Der nächste Nachsorgetermin wurde für drei Monate später angesetzt.

/// Ergebnis

  • Vorher-Nachher-Situation im Vergleich

Die klinischen Indizes und Hypersensibilitätswerte fielen nach der Behandlung deutlich besser aus. Die Patientin hielt sich an die anfänglich erfolgte Instruktion und war bezüglich angemessener Lebensgewohnheiten, Mundhygiene und Ernährung motiviert. Durch die Politur der Zahnoberflächen während der Behandlung konnte zudem eine objektive Verbesserung des Erscheinungsbilds der Zähne erreicht werden.

/// Diskussion

Um effektive Techniken wählen zu können, sind fundierte Kenntnisse neuartiger, durch wissenschaftliche und klinische Forschung validierter Behandlungsprotokolle erforderlich. Diese sollten sowohl der oralen Gesundheit als auch dem körperlich-seelischen und sozialen Wohlbefinden dienen. Die Kontrolle des bakteriellen Biofilms durch den Patienten selbst und in der Zahnarztpraxis gewährleistet die Gesundheit der Zahnhartsubstanzen und der Parodontalgewebe. Es sollte dabei auch erwähnt werden, dass Plaquerevelatoren durchaus nützlich sind, um die Einhaltung von Mundhygieneunterweisungen zu fördern und gleichzeitig das Timing und die Wirksamkeit professioneller Verfahren zu verbessern. Beim klinischen D-BIOTECH-Verfahren kommen verschiedene Revelatoren zum Einsatz, nämlich einphasige Revelatoren zur Bestimmung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von Plaque, sowie zweiphasige Revelatoren, die neue und alte bakterielle Plaque kenntlich macht, als auch dreiphasige Revelatoren, die eine Erkennung neuer und alter Plaque anhand des Vorliegens von saurer bakterieller Plaque ermöglichen.

Die selektive Politur mithilfe von Abrasionspasten mit verschiedenen relativen Abrasionswerten (RDA-Werten) gestattet ein minimal-invasives Vorgehen und eine an die klinische Situation angepasste Behandlung. CleanJoy (VOCO) ist in Tuben und in Single-Dose-Verpackung erhältlich, wobei letztere besonders in der aktuellen Pandemiesituation sehr nützlich sind.

Hypersensibilitäten führen häufig auch dazu, dass die Patienten die Nachsorgetermine ausfallen lassen, obgleich diese für den Erhalt einer guten Mundgesundheit wichtig sind. Durch die Verwendung des Lacks (VPV, VOCO GmbH, Cuxhaven, Deutschland*) wird der Zahnschmelz desensibilisiert und remineralisiert, sodass dies einen wesentlichen Bestandteil einer idealen klinischen Strategie darstellt, mit der die zahnärztliche Praxis die Hypersensibilität effektiv behandeln und gleichzeitig das erzielte Wohlbefinden effizient aufrechterhalten kann. Die Patienten sind dann auch motiviert, die Nachsorgetermine wahrzunehmen. 1 ml VOCO Profluorid Varnish enthält 50 mg Natriumfluorid, was einem Fluoridanteil von 22,6 mg entspricht. Auch wenn der Lack zur Behandlung von hypersensiblen Zähnen und sensiblen Wurzeloberflächen indiziert ist, sollte VOCO Profluorid Varnish nicht bei bekannter Überempfindlichkeit oder Allergie gegen einzelne Bestandteile angewendet werden. Wie die meisten Fluoridlacke enthält auch VOCO Profluorid Varnish Kolophonium und künstliche Aromastoffe. Fluoridlacke sollten ebenso nicht bei Patienten mit ulzerativen Entzündungen des Zahnfleischs oder der Mundschleimhaut angewendet werden. Der Inhaltsstoff Kolophonium kann darüber hinaus auch die Aushärtung und Adhäsion von Composites beeinträchtigen.

* Empfohlene VPV-Dosierung nach Gebrauchsinformationen:
  – Behandlung von Patienten mit Milchgebiss: ca. 0,25 ml VOCO Profluorid Varnish
  – Behandlung von Patienten mit Wechselgebiss oder bleibendem Gebiss: ca. 40 ml

Ausgehend von klinischen Erfahrungswerten beträgt die zur Behandlung aller Zähne benötigte Menge zwischen 0,25 ml und 0,40 ml.

/// Schlussfolgerungen

  • Die Behandlung sollte darauf abzielen, die Reize und Risikofaktoren zu reduzieren oder auszuschalten sowie das Schmerzgeschehen zu hemmen. Die Ursachen sollten sowohl mithilfe professioneller Desensibilisierungstherapien als auch mit Unterweisungen für die häusliche Dentalhygiene kontrolliert werden. Sofern keine klinisch manifestierten Dentindefekte vorliegen, besteht das Behandlungsziel darin, die Zahnoberflächen mit Produkten so zu versiegeln, dass schmerzauslösende Reize nicht mehr in das Tubulisystem eindringen können.

 

/// Weiterführende Literatur

Liebermann A., Spintzyk S., Reymus M., Schweizer E., Stawarczyk B. Nine prophylactic polishing pastes: impact on discoloration, gloss, and surface properties of a CAD/CAM resin composite. Clin Oral Investig 2019 Jan;23(1):327-335

Ortiz-Ruiz AJ, Martínez-Marco JF, Pérez-Silva A, Serna-Muñoz C, Cabello I, Banerjee A., Influence of Fluoride Varnish Application on Enamel Adhesion of a Universal Adhesive. J Adhes Dent. 2021;23(1):47-56.

Poggio C, Andenna G, Ceci M, Beltrami R, Colombo M, Cucca L., Fluoride release and uptake abilities of different fissure sealants. J Clin Exp Dent. 2016 Jul 1;8(3):e284-9

Ravishankar P, Viswanath V, Archana D, Keerthi V, Dhanapal S, Lavanya Priya KP., The effect of three desensitizing agents on dentin hypersensitivity: A randomized, split-mouth clinical trial. Indian J Dent Res. 2018 Jan-Feb;29(1):51-55

 

–AUTOREN
Prof. Gianna Maria Nardi  
Dentalhygienikerin, Wissenschaftliche Mitarbeiteri
Università degli Studi di Roma „La Sapienza“
profnardi.giannamaria@gmail.com