Krankenkasse ist verpflichtet Mutterschutzlohn auch über das 1. Lebensjahr des Kindes zu erstatten

Eine Krankenkasse ist verpflichtet, den Mutterschutzlohn, den eine Gemeinschaftspraxis an ihre stillende angestellte Zahnärztin zahlte, auch über den 12. Lebensmonat hinaus zu erstatten. Dies hat das Sozialgericht Nürnberg am 04.08.2020 (S 7 KR 303/20) entschieden.

Jennifer Jessie

 

/// Der Fall

Geklagt hatte eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis, die eine angestellte Zahnärztin beschäftigt. Nach Geburt des Kindes befand sich die angestellte Zahnärztin im Beschäftigungsverbot, da sie ihr Kind stillte und eine zumutbare Beschäftigung unter Berücksichtigung des MuSchG während der Stillzeit nicht möglich war. Die Praxis sprach daher ein Beschäftigungsverbot aus und war gleichzeitig verpflichtet, an die angestellte Zahnärztin Mutterschutzlohn gemäß § 18 MuSchG. Die Praxis ihrerseitshat gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 AAG in vollem Umfang Anspruch auf Erstattung der Mutterschutzlohnkosten durch die Krankenkasse.

 

Die Krankenkasse weigert sich jedoch dem Erstattungsanspruch der Praxis auch über den 12. Lebensmonat des Kindes weiter nach zu kommen. Begründet wurde dies damit, dass die Stillzeit und damit der Erstattungsanspruch aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 2 MuSchG auf die ersten 12. Lebensmonate beschränkt sei. Dieser Auffassung erteilte das erstinstanzliche Gericht eine Absage.

 

/// Begründung

Der Anspruch auf Erstattung der Mutterschutzlohnkosten ergibt sich aus § 1 Abs. 2 AAG undist nicht auf die ersten 12 Monate nach Geburt des Kindes begrenzt. Die Mutterschutzlohnregelung in § 18 MuSchG enthält eine solche Befristung nicht und die Regelung des § 7 Abs. 2 MuSchG findethier keine Anwendung.

 

  • 7 Abs. 2 MuSchG regelt nämlich nur den Fall, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, während der Arbeitszeit eine Arbeitnehmerin für die zum Stillen erforderliche Zeit freizustellen. Es geht hier um die Gewährung von Stillpausen während der Ausübung der vertraglich vereinbarten Tätigkeit. Diese Pflicht zum Einräumen von Stillpausen während der Arbeitszeit ist auf die ersten 12 Monate nach der Geburt deswegen beschränkt, weil nach einem Jahr ein Kind vielleicht nur noch morgens und abends gestillt wird. Dies lässt sich nach Ansicht des Gerichts mit normalen Arbeitsplätzen in der Regel gut vereinbaren, so dass Stillpausen am Arbeitsplatz in der Regel nicht mehr notwendig sind.

 

Das Erteilen eines Beschäftigungsverbots nach § 13 MuSchG betrifft demgegenüber einen völlig anderen Sachverhalt:

 

„Hier könnte die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber ihre volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen, einen direkten Einfluss auf die Arbeit im Sinne einer Verhinderung hat das Stillen nicht. Aufgrund einer gesetzgeberischen Wertungsentscheidung, auf die weder die Arbeitnehmerin noch der Arbeitgeber Einfluss haben, darf sie die Tätigkeit jedoch nicht ausüben, sobald eine Gefährdungslage besteht.“

 

Von der Natur aus sei es nicht vorgesehen, dass mit Beginn des 13. Lebensmonats Kinder gar nicht mehr gestillt werden. Dies sehe auch der Gesetzgeber so:

 

„Er hat die höchste zulässige Stillzeit keineswegs generell auf die ersten 12 Monate nach der Entbindung begrenzt. Bei einem Beschäftigungsverbot liegen aber am Arbeitsplatz Gefährdungsrisiken vor, die eine Beschäftigung der werdenden oder stillenden Mutter verbieten. Stillt sie länger als ein Jahr, und sei es nur morgens oder abends, ändert sich daran nichts.“

Dass durch die fehlende zeitliche Limitierung womöglich „Fehlanreize“ geschaffen werden („Mutterschutzlohn statt Elternzeit“) hält das Gericht zwar theoretisch für möglich; gleichwohl betont es, dass dies systemimmanent ist. Das Gericht verweist insbesondere auf die gesetzgeberische Entscheidung:

„Sofern also der Gesetzgeber es einer Arbeitnehmerin aus Gründen des Gesundheitsschutzes vorgibt, der Tätigkeit nicht nachzugehen, die diese eigentlich ausüben kann und möchte, so sieht die Kammer kein Problem darin, dass dann auch die Solidargemeinschaft für die dann entstehenden Gehaltsforderungen in Anspruch genommen werden darf. Davon abweichende Regelungen wären in einem – diskriminierungsfreien – Regelungsgefüge durch den Gesetzgeber festzulegen, was hier jedoch nicht erfolgt ist. (…)“

 

/// Praxistipp

Nach dieser Entscheidung besteht rechtlich große Hoffnung, dass Praxisinhaber gegen ablehnende Entscheidungen der Krankenkasse erfolgreich vorgehen können.

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass Streitigkeiten um den Mutterschutzlohn und die Erstattungen oftmals das Arbeitsverhältnis zwischen Praxisinhaber und angestellter Zahnärztin schwer belasten und immer wieder sogar zu unschönen Trennungen führen. Praxisinhaber haben regelmäßig wenig Planungssicherheit, weil sie nicht wissen, wann die Mitarbeiterin abstillt und ihre Tätigkeit wieder aufnimmt. Zudem besteht weiterhin das Risiko, auf den Kosten erstmal sitzen zu bleiben, weil die Krankenkassen trotz dieses Urteils die Erstattung ablehnen. An dieser Stelle kann in der Regel nur an beide Seiten appelliert werden, offen und fair miteinander zu kommunizieren und den Wiedereinstieg gründlich und ehrlich zu planen. Nur wenn beide Seiten gegenseitig Rücksicht nehmen und vertrauensvoll an einem Strang ziehen, kann eine Rückkehr an den Arbeitsplatz erfolgreich gelingen.

 

– AUTORIN
Jennifer Jessie, Rechtsanwältin

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