Notfälle aus dem Alltag in der Praxis

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Notfälle aus dem Alltag in der Praxis: Angina Pectoris und Akutes Coronar Syndrom bis hin zur Reanimation – die Folgen einer koronaren Herzkrankheit (KHK)

 

Ihre Praxis befindet sich im dritten Stock eines Bürohauses und seit heute Morgen ist der Aufzug defekt. Kurz vor der Mittagspause kommt Ihr letzter Patient des Vormittags in die Praxis. Am Empfang sehen Sie einen leicht blässlichen Herrn mit Tachypnoe und Sprechdyspnoe. Er beschreibt außerdem einen thorakalen Druck mit spürbaren Palpitationen. Natürlich denken Sie sofort an einen Myokardinfarkt, aber das ist nicht die einzige mögliche Verdachtsdiagnose.

Tizian Gaßner

 

/// ACS – Akutes Coronar Syndrom

Hinter dem Begriff ACS verbergen sich drei Notfallbilder: die instabile Angina Pectoris, das Non-ST-elevation-ACS (NSTE-ACS) und der ST-elevation-myocardial infarction (STEMI).

Ein Myokardinfarkt, zu dem die beiden letztgenannten Notfallbilder gehören, ist eine ischämisch bedingte Nekrose, die durch eine Stenose oder einen vollständigen Verschluss einer Koronararterie verursacht wird. NSTE-ACS und STEMI lassen sich anhand von EKG-Veränderungen unterscheiden. Eine instabile AP kann ähnliche Symptome wie ein NSTE-ACS aufweisen, jedoch findet hierbei keine Myokardnekrose statt. Dies lässt sich allerdings meist erst im klinischen Umfeld feststellen. [1] 

Krankheitsbild

Symptome und Diagnose

STEMI

(ST-elevation myocardial Infarction)

·       ST-Strecken-Hebung: ≥ 0,1 mV in zwei benachbarten Extremitätsableitungen

  • ST-Strecken-Hebung: ≥ 0,2 mV in zwei benachbarten Brustwandableitungen
  • Neu aufgetretener Linksschenkelblock

NSTEMI

(non-ST-elevation myocardial infarction)

 

NSTE-ACS

(non-ST-elevation ACS)

·       Symptomatik (Thoraxschmerz, Dyspnoe, etc.)

  • Ggf. ST-Strecken-Senkungen
  • Ggf. veränderte T-Wellen

Instabile Angina Pectoris

·       Symptomatik

  • Alle o.g. EKG-Veränderungen sind möglich, jedoch ohne Myokardnekrose

Tabelle 1: Unterschiede Diagnosen ACS [1]

Das Leitsymptom des ACS ist ein akuter retrosternaler Thoraxschmerz (mit oder ohne Ausstrahlung), der in Ruhe oder nur bei geringer körperlicher Belastung auftritt, mindestens 20 Minuten anhält und sich durch die Gabe von Nitrospray (nur bei bekannten AP-Patienten) beeinflussen lässt. Weitere Beschwerden können Dyspnoe, Schwindel, kalter Schweiß, Nausea, Emesis, Blässe, Anzeichen eines Lungenödems oder akuter Herzinsuffizienz und ein beklemmendes Gefühl bis zur Todesangst sein. [1]

 

/// Stabile Angina Pectoris (AP)

Die stabile AP entsteht, wie alle Krankheitsbilder des ACS, meist in Folge einer koronaren Herzkrankheit (KHK). Eine KHK ist eine arteriosklerotische Verengung der Koronargefäße, die eine Sauerstoffmangelversorgung des Myokards (chronisch und/oder akut) zur Folge hat. Die Symptome ähneln denen des ACS, wie Dyspnoe, retrosternaler Druckschmerz, Nausea und Schwindel. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass die Patienten ihre Beschwerden kennen und darauf vorbereitet sind. Alle Symptome sollten innerhalb von 20 Minuten abklingen, bei Anwendung von Nitrolingualsprays sogar schneller. Auslöser der stabilen AP sind meist bekannte Faktoren wie körperliche Belastung, Stress, kalte Temperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit. Treten die Beschwerden jedoch erstmalig auf, bleiben sie bestehen oder zeigen eine Resistenz gegen das Nitrospray, spricht man von einer instabilen AP. [2]

 

/// Behandlung Ihres Patienten

Zurück zu Ihrem Patienten, der in Ihre Praxis gekommen ist. Zunächst sollten Sie dem Patienten die Belastung nehmen. Setzen Sie ihn am besten in einen Ihrer Behandlungsstühle und lagern Sie den Oberkörper hoch. Eine Flach- oder Schocklagerung wäre in diesem Moment kontraindiziert, da diese das Herz durch den Rückfluss des Blutes zusätzlich belasten würde. Nachdem Sie sonst noch nicht viel über den Patienten wissen, ist eine schnelle, aber präzise Anamnese und Erstuntersuchung indiziert. Verwenden Sie dazu das xABCDE und SAMPLER(S)-Schema. Während Ihre zahnmedizinischen Fachangestellten die Vitalparameter erheben, auskultieren Sie den Patienten und beginnen mit der Anamnese, die die folgenden Erkenntnisse liefert (s. Tabelle 2). Verfügt Ihre Praxis über ein EKG, sollten Sie dieses am Patienten anbringen und die Aufzeichnung interpretieren.

Symptome

Tachypnoe, Sprechdyspnoe, retrosternaler thorakaler Druckschmerz

Allergien

Keine

Medikation

ACE-Hemmer, β-Blocker, Statine und bei Bedarf Nitrat-Spray

Patientengeschichte

2-Gefäß-KHK mit Angina Pectoris, art. Hypertonus, Hypercholesterinämie

Letzte*r Mahlzeit, Stuhlgang, Klinikaufenthalt, etc.

Mahlzeit: Frühstück, Stuhlgang: morgens, normal

Klinikaufenthalt: mehrere Monate, allerdings chirurgischer Natur

Letzte AP-Beschwerden: vergangene Woche nach Belastung

Ereignis

Beschwerden traten auf dem Weg zwischen erstem und zweitem Obergeschoss auf. Der Patient kennt diese Art der Belastung nicht, da er zuhause ebenerdig wohnt und Treppen sonst nicht nutzt. Er erlebt Beschwerden normalerweise nur bei längeren Spaziergängen.

Risikofaktoren

Arteriosklerose, Hypertonie, Hypercholesterinämie

(Schwangerschaft)

Keine

Tabelle 2: Ergebnis SAMPLER(S)-Anamnese

Durch Ihre schnelle Anamnese haben Sie festgestellt, dass der Patient eine KHK mit möglicher AP hat. Sollten die Beschwerden den bekannten Symptomen des Patienten entsprechen, können Sie ihm empfehlen seine Bedarfsmedikation, das Nitro-Spray, zu verwenden. ACHTUNG: Weichen die Symptome jedoch von den sonst bekannten AP-Beschwerden ab, sollte aufgrund der Kontraindikation bei Rechtsherzinfarkt auf die Einnahme verzichtet werden. Falls sich die Symptome nicht bessern oder das Spray nicht wirkt, handelt es sich vermutlich um ein ACS. [4,5] Allenfalls sollten Sie den Rettungsdienst und einen Notarzt über den Notruf 112 alarmieren.

Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes sollten sie den Patienten beruhigen und beengende Kleidungsstücke öffnen. Die oben genannte Sitzposition sollte beibehalten werden, eine Flachlagerung ist nur bei Schocksymptomatik indiziert. Liegt eine Hypoxämie vor (SpO2 unter 90%), ist die Gabe von Sauerstoff bis zu einem Zielwert von 94% angezeigt. Außerdem ist die Anlage eines intravenösen Zugangs indiziert. Weitere medikamentöse Therapien hängen von einer genaueren Diagnostik, wie z.B. einer 12-Kanal-EKG-Ableitung, ab. [3,4]

Wirkstoff

Indikation / Wirkung

Dosierung

Kontraindikation

Glycerol-trinitrat

Vorlastsenkung zur Reduzierung des kardialen O2-Bedarf

1-2 Hübe (0,4-0,8 mg)

RR < 100 mmHg sys., Rechtsherzinfarkt, Einnahme PDE-5-Hemmer (Potenzmittel) in den letzten 72 Stunden

Morphin

 

Analgesie

2 mg titriert i.v. [5],

5 – 10 mg i.v. [4]

Bewusstseinstrübung und möglicher Atemdepression

Aspirin

 

Thrombozytenaggregations-hemmung

150 – 300 mg p.o., 75 – 250 mg i.v.

Magen- oder Duodenum-Geschwür und erhöhte Blutungsneigung

Heparin

Antikoagulation bei STEMI (aktuelle Leitlinien empfehlen Gabe erst während Herzkatheter), bei NSTE-ACS ggf. auch Enoxaparin (erst im klinischen Setting)

5000 I.E. i.v.

Blutungsneigung, Apoplex, vorangegangene Traumata, Thrombozytopenie

Tabelle 3: Medikamentöse Therapie ACS [4, 5]

Nach der genauen Anamnese und Diagnostik wird sich zeigen, ob es sich um einen STEMI oder NSTE-ACS/instabile AP handelt. Abhängig davon entscheidet der Rettungsdienst, den Patienten direkt in ein Herzkatheterlabor (bei STEMI) oder in eine Chest-Pain-Unit (CPU) zu bringen. [3,4]

 

/// Reanimation

Die schlimmste Folge eines ACS kann, z.B. bei Verschluss einer großen Koronararterie, durch die Myokardnekrose ausgelöste Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzstillstand sein. Verliert der Patient das Bewusstsein, muss er schnellstmöglich auf den Boden gelegt und eine Atemkontrolle durchgeführt werden. Stellen sie innerhalb von 10 Sekunden keine Atmung fest, müssen sie umgehend mit den Wiederbelebungsmaßnahmen beginnen. Sollte eine Atmung vorhanden sein, ist der Patient in die stabile Seitenlage zu drehen.

Der Patient sollte sich immer noch in Rücklage befinden, entkleiden Sie den Oberkörper und lassen Sie sich die Notfallausrüstung Ihrer Praxis bringen und einen Notruf absetzen. Beginnen Sie, bis das Material am Patienten ist, schon einmal mit den Thoraxkompressionen. Legen Sie hierfür Ihre Hände aufeinander und positionieren diese auf der unteren Sternumhälfte. Komprimieren Sie den Thorax etwa 5 – 6 cm und entlasten ihn danach vollständig. Pro Minute sollten Sie 100 – 120 Kompressionen durchführen. Wenn Sie bereits zu Beginn zu zweit sind, können Sie neben den Thoraxkompressionen auch Beatmungen im Rhythmus 30 Kompressionen zu 2 Beatmungen durchführen. Kontrollieren Sie vor der Beatmung noch den Mundraum auf Fremdkörper und entfernen sie diese. Um effiziente Beatmungen durchzuführen, überstrecken sie den Kopf. Wenn Ihre Notfallausrüstung am Patienten ist, schließen Sie unverzüglich den AED und starten die Analyse des Herzrhythmus. Der AED wird etwa alle zwei Minuten eine Rhythmusanalyse durchführen, zu diesem Zeitpunkt sollten Sie sich mit Ihrem Personal abwechseln und immer jemand anderen die Thoraxkompressionen durchführen lassen. Die Thoraxkompressionen sind weiterhin im Rhythmus 30:2 durchzuführen. Zur Beatmung nutzen Sie den mittlerweile mit Ihrer Notfallausrüstung eingetroffenen Beatmungsbeutel mit Maske. Zur besseren Beatmung überstrecken Sie den Kopf des Patienten. Das Einführen eines Guedel-Tubus verbessert die Atemwegssicherung zusätzlich. Bei personeller Kapazität können Sie, ohne die bis jetzt genannten Maßnahmen zu vernachlässigen, über die Anlage eines intravenösen Zugangs nachdenken. [6] Die medikamentöse Therapie des Kreislaufstillstands hängt vom vorliegenden Herzrhythmus ab. Gibt Ihr AED eine Defibrillation frei, handelt es sich um einen defibrillierbaren Rhythmus (Kammerflimmern oder pulslose ventrikuläre Tachykardie). Wird keine Defibrillation freigegeben, liegt ein nicht-defibrillierbarer Rhythmus (Asystolie oder pulslose elektrische Aktivität) vor. Eine mögliche medikamentöse Therapie ist Tabelle 4 zu entnehmen. Sollten Unsicherheiten bestehen, ist es empfehlenswert die Basismaßnahmen der Reanimation Thoraxkompression, Beatmung und Defibrillation fortzuführen und das Eintreffen des Rettungsdienstes abzuwarten. [3]

Defibrillierbarer Rhythmus

(VF, pVT)

Nicht-defibrillierbarer Rhythmus

(peA, Asystolie)

Rhythmusanalyse

1. Schockabgabe

Keine Schockabgabe

2 Minuten Thoraxkompressionen mit Beatmungen im Rhythmus 30:2,

parallel Anlage eines intravenösen Zugangs

 

schnellstmögliche Gabe von

Adrenalin 1 mg i.v.

Rhythmusanalyse

2. Schockabgabe

Keine Schockabgabe

Gabe von Adrenalin 1 mg i.v. und Fortführung Thoraxkompressionen mit Beatmungen im Rhythmus 30:2

Fortführung Thoraxkompressionen mit Beatmungen im Rhythmus 30:2

Rhythmusanalyse

3. Schockabgabe

Keine Schockabgabe

Gabe von Amiodaron 300 mg i.v. und Fortführung Thoraxkompressionen mit Beatmungen im Rhythmus 30:2

Fortführung Thoraxkompressionen mit Beatmungen im Rhythmus 30:2

Gabe von Adrenalin 1 mg i.v. alle 3 – 5 Min

Weiteres Vorgehen:

·       Adrenalin 1 mg i.v. Wiederholungsgabe nach 3 – 5 Minuten

·       Nach 5. Schockabgabe: Amiodaron 150 mg i.v.

Weiteres Vorgehen:

·       Adrenalin 1 mg i.v. alle 3 – 5 Minuten

Tabelle 4: Vorgehen Reanimation ACLS [3]

 

/// Hilfreiches Material für die Praxis

Zur Notfallausstattung in der Praxis empfiehlt es sich neben der Grundausstattung, wie Diagnostik, Beatmungsbeutel mit Masken und Verbandmittel, auch ausreichend Materialien für die Anlage eines intravenösen Zugangs sowie medizinischen Sauerstoff mit Reservoir-Maske bereit zu halten. Die Bereitstellung eines automatisierten externen Defibrillators (AED), gewisser Notfallmedikamente, wie Adrenalin, und regelmäßige Notfalltrainings in der Praxis sind ebenfalls empfehlenswert.

 

– AUTOR

Tizian Gaßner

Notfallsanitäter

 

– [Kontakt aus ds 8+9/2024, S. 19]

 

Literatur

[1] Binting, B. (2023a). Akutes Koronarsyndrom (ACS). In Retten—Notfallsanitäter (1. Aufl., S. 617–625). Thieme.

[2] Binting, B. (2023b). Grunderkrankung Koronare Herzkrankheit (KHK) mit stabiler Angina Pectoris. In Retten—Notfallsanitäter (1. Aufl., S. 613–617). Thieme.

[3] American Heart Association (Hrsg.). (2021). Erweiterte Maßnahmen der kardiovaskulären Reanimation.

[4] Byrne, R. A., Rossello, X., Coughlan, J. J., Barbato, E., Berry, C., Chieffo, A., Claeys, M. J., Dan, G.-A., Dweck, M. R., Galbraith, M., Gilard, M., Hinterbuchner, L., Jankowska, E. A., Jüni, P., Kimura, T., Kunadian, V., Leosdottir, M., Lorusso, R., Pedretti, R. F. E., … Zeppenfeld, K. (2023). 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. European Heart Journal, 44(38), 3720–3826. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad191

[5] Bastigkeit, M. (with Witzany-Pichler, S.). (2019). Medikamente in der Notfallmedizin (9., gänzlich überarbeitete Auflage). Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH.

[6] Kraus, N., & Rief, M. (2023). Herz-Kreislauf-Stillstand und Reanimation. In Retten—Notfallsanitäter (1. Aufl., S. 668–702). Thieme.