Ultracain-Einführung blieb Zahnärzten vorenthalten

Dentale Lokalanästhesie in der DDR

Ultracain-Einführung blieb Zahnärzten vorenthalten

Vor 40 Jahren brachte die damalige Hoechst AG den Wirkstoff Articain unter dem Namen Ultracain auf den deutschen Markt. In den darauf folgenden Jahren setzte sich das Lokalanästhetikum mit seinen Vorteilen gegen den bis dahin führenden Wirkstoff Lidocain durch – zumindest im Westen des geteilten Landes. In der damaligen DDR anästhesierten die Zahnärzte weiterhin hauptsächlich mit Procain-Derivaten und Lidocain, wie Professor Dr. Dr. Johannes Paul Klammt im Interview berichtet. Heute ist das mittlerweile von Sanofi produzierte Ultracain Marktführer im wiedervereinten Deutschland und seine Bekanntheit sowie die Zufriedenheit mit dem Präparat unter den Zahnärzten bundesweit ungebrochen hoch (1

 

Auf welche Lokalanästhetika konnten die Zahnärzte in der damaligen DDR zurückgreifen?

Auch wenn der Wirkstoff Lidocain bereits 1943 synthetisiert worden ist, kam er in der DDR erst in den 1950er Jahren als „Xylocain“ in den Handel. Ab diesem Zeitpunkt stand Lidocain in geeigneter Anwendungsform mit verschiedenen Konzentrationen und Adrenalin-Zusätzen zur Verfügung. Ich erinnere mich an meine Studienjahre in den Fünfzigern. Im studentischen Kurs wurde Lidocain noch nicht generell angewandt, obwohl damals schon bekannt war, dass Lidocain gegenüber den üblichen Procain-Derivaten deutliche Vorzüge besaß.

 

Wann hatten Sie Ihre ersten Berührungspunkte mit Lidocain?

Ich legte 1959 mein Staatsexamen ab. Bei meiner demonstrierten Zahnextraktion wollte ich eine zuverlässige Schmerzfreiheit aufzeigen. Mein Vater war damals niedergelassener Zahnarzt und gab mir für den praktischen Teil des Staatsexamens einige Ampullen Xylocitin.

 

War das 1976 eingeführte Ultracain in der DDR völlig unbekannt?

Ultracain war an den Hochschulen bekannt, aber nicht käuflich zu erwerben. Ein Freund und Kollege kam damals an eine kleine Menge des Wirkstoffs heran. So konnte schon frühzeitig im kleinen Kollegenkreis über die hervorragenden Eigenschaften berichtet werden.

 

Sie nutzten also weiterhin Lidocain?

Die Zahnärzte und auch ich an der Klinik waren bis zur Wendezeit ganz auf Lidocain eingestellt und damit recht zufrieden. Auch in der Lehre und in meinen diesbezüglichen Veröffentlichungen empfahl ich das Lidocain und dessen Derivate. Da dem praktizierenden Zahnarzt westliche Fach-Zeitschriften nicht zugänglich waren, sehnte man sich auch nicht nach moderneren Produkten – mir ging es genauso.

 

Wie ging es nach der Wende weiter?

Nach der Wiedervereinigung wendeten wir für eine Zeit lang bei uns Lidocain und Articain nebeneinander an. Infolge der diskreten und sympathischen Art der Information sowie der fundierten wissenschaftlichen Begründung der Vorzüge des Articains, wie der schnelleren Abbaubarkeit und damit geringeren Belastung für den Patienten, durch den Hersteller Sanofi konnte es sich in Wissenschaft und Praxis durchsetzen.

 

Welche Vorteile ergaben sich aus dem nach der Wende erhältlichen Articain für Behandler und Patienten?

Als wesentliche Vorteile des Articains/Ultracains sehe ich die Seltenheit allergischer Komplikationen und das gute Diffusionsvermögen. Es ermöglicht einen raschen und zuverlässigen Eintritt der Schmerzfreiheit, der sogar mitunter den Verzicht auf eine Leitungsanästhesie erlaubt. Wesentlich für die gute Verträglichkeit und die hohe Erfolgsquote der Lokalanästhesie mit Articain sind dessen hohe Eiweißbindung, der rasche Abbau der Spaltprodukte und die zuverlässige Ausscheidung der Abbauprodukte über die Nieren.

 

Wie bewerten Sie die Vasokonstriktoren in Lokalanäesthetika?

Die zuverlässige Schmerzausschaltung steht im Vordergrund. Wenn diese auch ohne vasokonstriktorischen Zusatz erreicht werden kann, spricht nichts dagegen. Andererseits ist der heute übliche sehr geringe Adrenalinzusatz zum Anästhetikum auch bei Patienten mit vorgeschädigtem Kreislauf und den in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde erforderlichen geringen Mengen des Anästhetikums nicht bedenklich. Patienten mit extremer Vorschädigung werden – in Abstimmung mit dem behandelnden Kardiologen – ohnehin stationär behandelt.

 

Lässt sich die Lokalanästhesie für den Patienten weiter verbessern?

Auch die moderne Lokalanästhesie in der Mundhöhle mit Injektion von Articain/Ultracain stellt eine psychische Belastung für den Patienten dar. Wenn dieser mit Angst „vor der Spritze“ und Aufregung, vielleicht sogar mit vasomotorischem Kollaps reagiert, ist das nicht zwingend auf das Anästhetikum zu beziehen. Das wird durch eine Vielzahl von Untersuchungen bestätigt. Zur Vermeidung von Komplikationen sind also der gezielte Abbau der Ängste und die psychische Führung durch den Behandler besonders wichtig. Sie ist notwendiger Bestandteil der modernen Lokalanästhesie. Hierbei ist der Hinweis auf die gute Verträglichkeit und Sicherheit der Schmerzausschaltung gerade durch die Verwendung von Ultracain beruhigend und nützlich.

 

Herr Professor Klammt, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

 

[Im Kasten]

Prof. Dr. Dr. Johannes Paul Klammt, Schwerin

 

Jahrgang 1936, Studium der ZMK-Heilkunde und Humanmedizin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Promotion zum Dr. med. dent. und zum Dr. med., 1973 Habilitation, seit 1985 Honorarprofessor an der Akademie für Ärztliche Fortbildung Berlin (Ost), 1974 bis 1999 Chefarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Bezirkskrankenhauses, jetzt Klinikums Schwerin/Meckl., Ruhestand seit 2000.

 

Quelle:

  • Im Auftrag der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH befragte die DocCheck Medical Services GmbH 100 niedergelassene Zahnärzte in Deutschland. Erhebungszeitraum: 23. Dezember 2014 bis 23. Januar 2015.