Immer wieder herrscht Unklarheit darüber, welche Gehaltsbestandteile bei der Ermittlung des Mutterschutzlohnes während eines Beschäftigungsverbots (während Schwangerschaft oder Stillzeit) oder bei der Ermittlung des Elterngeldes während einer Elternzeit zu berücksichtigen sind.
Jennifer Jessie
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hatte sich kürzlich mit der Frage im Zusammenhang mit der Berechnung des Elterngeldes einer angestellten Zahnärztin zu befassen. Es hat im Interesse der elterngeldberechtigten Zahnärztin entschieden, dass eine Umsatzbeteiligung, die monatliche ermittelt und ausgezahlt wird, bei der Berechnung des Elterngeldes anspruchssteigernd zu berücksichtigen ist (Urteil vom 06.11.2019, AZ: L 2 EG 7/19).
/// Der Fall
Die angestellte Zahnärztin hatte mit ihrem Arbeitgeber eine der üblichen Vergütungsvereinbarung getroffen: Sie erhielt eine Grundvergütung von € 3.500,00 brutto und darüber hinaus eine Umsatzbeteiligung von 25%, sofern der von ihr monatlich erzielte Honorarumsatz einen Betrag von € 14.000,00 überstieg. Material- und Laborkosten blieben unberücksichtigt. Die Umsatzbeteiligung wurde vereinbarungsgemäß zusammen mit der Grundvergütung im Folgemonat ausgezahlt.
Die angestellte Zahnärztin wurde schwanger und befand sich ab September 2016 im Beschäftigungsverbot. Sie erhielt für diese Zeit Mutterschutzlohn, der sich sowohl aus der Grundvergütung sowie einer mit „Mutterschutz BV Schnitt“ bezeichneten Ausgleichszahlung, die sich auf die Umsatzbeteiligung bezog, zusammensetzte. Das Kind kam am 01. April 2017 zur Welt. Nach Ablauf der Mutterschutzfristen befand sich die Zahnärztin in Elternzeit und beantragte hierzu auch Elterngeld. Dem Grunde nach wurde der Anspruch auch bewilligt. Die Höhe wurde allerdings von der Elterngeldstelle unrichtig ermittelt.
In Streit stand der für die Bemessung des Elterngeldes (auch) maßgebliche Zeitraum Februar 2016 bis August 2016. In den Gehaltsabrechnungen wurde in diesem Zeitraum die Grundvergütung nämlich als laufender Bezug ausgewiesen, die monatlichen Umsatzbeteiligungen allerdings als „sonstige Bezüge“ erfasst. Die Elterngeldstelle hatte daher für diesen Zeitraum auch nur das Grundgehalt zu Grunde gelegt und die Umsatzbeteiligung völlig unberücksichtigt gelassen. Lediglich für die Monate September 2016 bis Januar 2017 hatte sie neben dem Grundgehalt auch die während des Beschäftigungsverbots als „BV Schnitt“ gewährten Ausgleichszahlungen berücksichtigt. Gegen den entsprechenden Elterngeldbescheid ging die Zahnärztin daher vor und bekam Recht.
/// Die Entscheidung – Monatliche Umsatzbeteiligungen sind laufende Bezüge
Das Berufungsgericht hat entschieden, dass die Umsatzbeteiligungszahlungen den laufenden Bezügen zuzurechnen sind. Hier war vor allem von Bedeutung, dass nach dem Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart war, dass der Arbeitgeber die Umsatzbeteiligung stets monatlich berechnet und (im Folgemonat) auszahlt. Daraus ergebe sich, dass die Umsatzbeteiligung gerade dem jeweiligen monatlichen Lohnzahlungszeitraum „zugehörig“ gezahlt wurde. Solange der Lohnzahlungszeitraum und der für den jeweiligen Lohnbestandteil maßgebliche Bemessungszeitraum übereinstimme, seien variable Lohnbestandteile dem laufenden Lohnbezug zuzuordnen und damit elterngeldsteigernd zu berücksichtigen.
/// Keine Bindungswirkung durch falsche Angabe in Gehaltsabrechnung
Dass die Umsatzbeteiligungen in der Zeit von Februar 2016 bis August 2016 in der Gehaltsabrechnung als „sonstige Bezüge“ ausgewiesen wurden, stehe der rechtlichen Einordnung nicht entgegen. Durch die vom Arbeitgeber veranlasste Einordnung und Bezeichnung als „sonstige Bezüge“ entstehe noch keine Bindungswirkung. Das Gericht stellte insofern klar, dass Gehaltsabrechnungen bloße Willenserklärungen der Arbeitgeber darstellen, ihre Richtigkeit und Vollständigkeit lediglich vermutet wird. Das bedeutet, dass im Einzelfall durch konkrete Feststellungen der Inhalt der Angaben der Gehaltsabrechnungen widerlegt werden kann.
Das Gericht verwies insofern auch auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz. Die von einem Arbeitgeber im Rahmen der Lohnsteueranmeldung erfolgte rechtliche Einordnung eines entscheidungserheblichen Sachverhalts (hier die Abgrenzung von „laufendem Bezug“ oder „sonstigem Bezug“) muss im Falle der Fehlerhaftigkeit einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sein. Das Gericht hat erkannt, dass nicht von allen Arbeitgebern eine besondere Fach- und Rechtskunde gerade auch bei dieser schwierigen Abgrenzungsfrage vorausgesetzt werden kann. Bei der Lohnbuchhaltung seien sehr komplexe rechtliche Vorgaben zu berücksichtigen, bei deren Umsetzung selbst fachkundigen Leuten nicht selten Fehlern unterlaufen können.Dies verdeutlichte auch dieser Fall selbst. Denn auch hier war ein Lohnsteuerbüro für die Erstellung der Gehaltsabrechnungen involviert gewesen.
Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wurde die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.
/// Praxistipp
Dieser Fall zeigt wieder sehr schön: Es kommt stets darauf an, was gelebt wird. Nur weil die Umsatzbeteiligung versehentlich als „sonstiger Bezug“ ausgewiesen wurde, bedeutet das nicht ohne Weiteres, dass das auch richtig ist. Zu Recht hat sich die Zahnärztin hier gegen den Elterngeldbescheid gewandt, der die Umsatzbeteiligung unberücksichtigt gelassen hatte. Jedenfalls dann, wenn die Umsatzbeteiligung monatlich ermittelt und ausgezahlt wird, handelt es sich um laufenden Bezug, der bei der Ermittlung der Elterngeldhöhe zu berücksichtigen ist.
Aber auch für die Arbeitgeberseite ist der Fall von Bedeutung: Wenn monatliche Umsatzbeteiligungen laufende Bezüge sind, handelt es sich ersichtlich auch um laufendes Arbeitsentgelt, welches bei Entgeltfortzahlungsansprüchen zu berücksichtigen ist. Das wird immer wieder übersehen und kann zu einem bösen, vor allem teuren Erwachen führen! Von daher sollten Arbeitgeber immer vorab vom Anwalt rechtlich gründlich prüfen lassen, ob und wenn ja welche variablen Vergütungsmodelle für sie vereinbar und auch langfristig tragbar sind.
– AUTORIN
Jennifer Jessie
Rechtsanwältin
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