Eine Betrachtung der strafrechtlichen und berufsrechtlichen Folgen solcher Verdächtigungen – Teil 1
Die Frage der ordnungsgemäßen Dokumentation des Behandlungsverlaufes spielt im zahnärztlichen Alltag regelmäßig eine Rolle, wenn es um den Beleg der erbrachten zahnärztlichen Maßnahmen am Patienten, der entstandenen Materialkosten oder etwa darum geht, welche Medikation erfolgte. Wichtig ist dies für die Erlangung des Zahnarzthonorars, die Eigenkontrolle, für einen Nachbehandler oder die Nachvollziehbarkeit einer zahnärztlichen Behandlung. Persönlich bedeutsam wird die Dokumentation für den Zahnarzt, wenn strafrechtliche Vorwürfe des Abrechnungsbetrages gegen ihn erhoben werden.
Der vorliegende Artikel soll auf Problemstellen und Gefahren in diesem heiklen Bereich hinweisen, der für den Zahnarzt erhebliche Konsequenzen (bis hin zur Approbationsentziehung) mit sich bringen kann. Er ist in verschiedene Teile gegliedert, da die zahnärztliche Dokumentation bei dem umfangreichen Problembereich des Abrechnungsbetruges an unterschiedlichen Stellen relevant ist. Nachfolgende Teile erscheinen in späteren Ausgaben.
Jens Bosbach
Wird dem Zahnarzt vorgeworfen, dass seine Rechnungen überhöht seien, führt dies regelmäßig zu Diskussionen mit dem Patienten bzw. den Krankenkassen. Hier soll der Bereich der zahnärztlichen Privatliquidation beleuchtet werden, weshalb in erster Linie der Patient selbst der Ansprechpartner des Zahnarztes ist. Meist können Differenzen außergerichtlich gelöst werden. Nicht selten kommt es jedoch auch zu Zivilrechtsstreitigkeiten, in denen sich die einzelnen Parteien jeweils versierter anwaltlicher Hilfe bedienen. Im Zivilrecht kämpfen die Parteien auf Augenhöhe.
Immer häufiger kommt es jedoch auch zu Strafanzeigen gegen den behandelnden Zahnarzt mit dem Vorwurf des Abrechnungsbetruges. Solche Vorwürfe werden meist vom Patienten direkt aus eigener Motivation oder aber auch auf Rat von Dritten gegen den Zahnarzt erhoben. Infolge einer Strafanzeige verschieben sich die Machtverhältnisse deutlich. Denn plötzlich hat der Zahnarzt – unabhängig von einem Zivilrechtsstreit – in der Rolle eines Beschuldigten auch für seine Unschuld und gegen strafrechtliche bzw. anschließend folgende berufsrechtliche Sanktionen zu kämpfen. Erschwert wird dieser Kampf häufig durch fachliche Unkenntnis im zahnärztlichen Bereich auf Seiten der Staatsanwaltschaft, welche dieses Wissensdefizit zumeist mit gutachterlicher Hilfe auszugleichen versucht. Oftmals erfährt der Zahnarzt von entsprechenden Vorwürfen auch erst, nachdem die Strafanzeige gegen ihn erstattet wurde und der Staatsanwalt sich aufgrund gutachterlicher Zuarbeit schon eine Meinung gebildet hat. Regelmäßig kommt es in solchen Verfahren auch zu Durchsuchungen der Zahnarztpraxis, um sich von staatsanwaltschaftlicher Seite ein Bild darüber bilden zu können, welche zahnärztlichen Maßnahmen am betroffenen Patienten vorgenommen worden sind. Ziel der Durchsuchung sind die Patientenunterlagen in Form von Patientenkarteien, zahnärztlicher Dokumentation, Röntgenbilder, Zahnmodellen, etc.
Gelingt es dem beschuldigten Zahnarzt unter Zuhilfenahme versierter fachanwaltlicher Hilfe nicht (frühzeitig), die Vorwürfe schon im Ermittlungsverfahren zu entkräften und gelangt die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass ein hinreichender Tatverdacht eines Betruges zum Nachteil eines Patienten besteht, wird das Verfahren fortbetrieben (s.u.). Parallel wird – je nach Fortgang des Verfahrens – aufgrund der „Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen“ (MiStra) regelmäßig die berufsständische Vertretung des Zahnarztes informiert, welche – abhängig von den Ergebnissen im Ermittlungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren – gesondert und wiederum unabhängig von den anderen Verfahren, berufsrechtliche Sanktionen bis hin zu Approbationsentziehung prüfen wird. Es bedarf hiernach keiner weiteren Erörterung, dass eine Strafanzeige des Patienten gegen den Zahnarzt elementare schwerwiegende Folgen mit sich bringen kann. Das gilt umso mehr, wenn die Vorwürfe nicht schon im Ermittlungsverfahren auf Seiten der Staatsanwaltschaft ausgeräumt werden können. Denn dann droht neben dem Reputationsschaden in einer öffentlichen Hauptverhandlung, dem zeitlichen und finanziellen zusätzlichen Aufwand insbesondere die Gefährdung des beruflichen Daseins (ggf. nach einem öffentlichen Berufsrechtsverfahren).
Im Nachfolgenden soll deshalb aufgezeigt werden, welche Voraussetzungen für die Staatsanwaltschaft vorliegen müssen, um von einem Abrechnungsbetrug durch den Zahnarzt zu Lasten des Patienten ausgehen zu dürfen und bei welchen Punkten gerade eine „schlechte“ oder eine „gute“ zahnärztliche Dokumentation ausschlaggebend sein kann.
Dabei kann es nicht Ziel des vorliegenden Beitrages sein, alle Konstellationen und jede Meinung im juristischen Bereich abzubilden. Jedoch werden die verschiedenen Teile der nachfolgenden Betrachtung zeigen, wie bedeutsam es ist, die Besonderheiten der zahnärztlichen Dokumentation ebenso wie die Besonderheiten der GOZ sowie der berufsrechtlichen Spezialregelungen richtig einzuordnen und so frühzeitig wie möglich gegen entsprechende Vorwürfe.
///Strafrechtliches Ermittlungsverfahren und gerichtliches Verfahren
Im strafrechtlichen Vorverfahren prüft die Staatsanwaltschaft – veranlasst z.B. durch eine Strafanzeige – zunächst, ob ein Anfangsverdacht gegen den Zahnarzt vorliegt, der die Annahme rechtfertigt, es könnte der Straftatbestand des Betruges (§ 263 Strafgesetzbuch) erfüllt sein. Die Schwelle des „Anfangsverdachtes“ ist sehr niedrig. Ist eine Strafanzeige schlüssig, konkret genug, und bietet sie ausreichende Tatsachen an, die einen Anfangsverdacht rechtfertigen können, wird ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den betroffenen Zahnarzt eingeleitet.
Innerhalb dieses Verfahrens prüft die Staatsanwaltschaft, ob sich ein Tatverdacht bestätigt oder nicht. Bestätigt er sich nicht in hinreichender Form, stellt sie das Ermittlungsverfahren ein. Ergibt sich ein sogenannter hinreichender Tatverdacht, prüft sie weitere Schritte. Ein hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn aus Sicht des Staatsanwalts eine gewisse Verurteilungswahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Bei einem solchen Verdachtsgrad existieren in der Praxis im Wesentlichen drei Modelle des weiteren Vorgehens.
- Unterstellt die Staatsanwaltschaft eine geringe Schuld des Zahnarztes, hat sie die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung (ggf. gegen Zahlung einer Geldauflage durch den Zahnarzt).
- Geht sie von keiner geringen Schuld aus, sieht aber auch keine Notwendigkeit für eine öffentliche Hauptverhandlung oder eine Geldstrafe von über 360 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr (natürlich ausgesetzt zur Bewährung), kann sie einen Strafbefehl beim zuständigen Amtsgericht gegen den Zahnarzt beantragen. Erlässt das Amtsgericht einen solchen Strafbefehl, kommt dieser einem schriftlichen Urteil gleich. Wendet sich der Zahnarzt nicht gegen einen solchen Strafbefehl mit Hilfe des Einspruchs innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung, wird der Strafbefehl rechtskräftig und steht fest.
- Nimmt die Staatsanwaltschaft nicht an, dass die Angelegenheit ohne eine öffentliche Hauptverhandlung geklärt werden kann oder ist er der Auffassung, dass mit einer höheren Strafe zu rechnen ist, erhebt sie Anklage und leitet diese an das Gericht weiter. Das zuständige Gericht prüft, ob es die Angelegenheit zum Hauptverfahren zulässt (dies ist der Regelfall), und eröffnet das Hauptverfahren. Hiernach kommt es zur öffentlichen Hauptverhandlung.
Für die Entscheidungsfindung auf Seiten der Staatsanwaltschaft bedient sie sich bei den Ermittlungen der Hilfe der Polizei, welche für den Staatsanwalt Zeugen vernimmt oder aber auch Zwangsmittel in Form einer Durchsuchung anwendet. Da sich die Staatsanwaltschaft in der Regel auf dem Gebiet der Zahnmedizin ebenso wenig auskennt wie im Bereich der GOZ oder des zahnärztlichen Berufsrechts, muss sie sich – soweit Rechtsfragen betroffen sind – einlesen und bedient sich im übrigen insbesondere hinsichtlich der Abrechnungen und der Dokumentation sachverständiger Hilfe. Obwohl vor Auswahl eines Sachverständigen die Verteidigung des beschuldigten Zahnarztes gehört werden soll, erfolgt die Sachverständigenbestellung in der Praxis regelmäßig ohne eine vorherige Anhörung. Damit hat der beschuldigte Zahnarzt auch keine Möglichkeit, auf die bedeutsame Auswahlentscheidung über einen Sachverständigen aus dem Bereich der Zahnmedizin, des Gebührenrechts und der Abrechnungspraxis Einfluss zu nehmen. Beeinflusst durch die eigenen angeeigneten Rechtskenntnisse aus dem Bereich des zahnärztlichen Berufsrechts, der GOZ sowie der Abrechnungspraxis und vor allem beeinflusst durch die Ergebnisse des Sachverständen bildet sich die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen ihre Meinung. Meist werden auch noch die betroffenen Patienten oder die Nachbehandler als Zeugen vernommen.
Leider nicht selten wird der beschuldigte Zahnarzt erst nach solchen Maßnahmen und nach einer ersten Meinungsbildung im Ermittlungsverfahren angehört. Um sich dann ein Bild über die Sach- und Rechtslage zu verschaffen, steht ihm das leider noch häufig unbekannte Recht auf Akteneinsicht zu, welches er über einen Rechtsanwalt ausüben kann. Aufgrund der Akteneinsichtnahme wird erkennbar, ob und inwieweit welche Meinungen vertreten werden und welche Schlüsse beispielsweise aus den Patientendokumentationen von Seiten des Sachverständigen gezogen werden. Hieran ausgerichtet kann eine Stellungnahme abgegeben werden. Selbstverständlich können daneben auch weitergehende Beweisanträge im Ermittlungsverfahren angebracht sein.
Es kann auch Stellung genommen werden, ohne zuvor Akteneinsicht genommen zu haben. Hiervon ist aber regelmäßig dringend abzuraten. Denn ohne Akteneinsicht ist der beschuldigte Zahnarzt meist hoffnungslos ausgeliefert und weiß nicht, wo die Schwerpunkte und wo die Probleme liegen. Zudem wird er bei persönlichen Vernehmungen ohne vorherige Akteneinsicht zu bedenken haben; dass diese meist durch die Polizei durchgeführt werden und er schon deshalb nicht in der Lage ist, herauszufinden, in welche Richtung der zuständige Staatsanwalt konkret Verdächtigungen erhebt.
Schließlich hat der beschuldigte Zahnarzt auch das Recht, zu schweigen. Gerade in diesem schwierigen Bereich kann es jedoch aus den dargelegten Gründen nachteilig sein, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Die Abwägung, ob der Zahnarzt schweigen oder eine Stellungnahme abgeben sollte, ist nur im Einzelfall und unter Zuhilfenahme eines Fachanwalts für Strafrechts seriös zu treffen.
/// Berufsrechtliches Verfahren
Parallel zum Ermittlungsverfahren wird in der Regel auch die berufsständische Vertretung des Zahnarztes informiert sein. Sei es durch die Staatsanwaltschaft selbst (spätestens mit Anklageerhebung), sei es durch den Patienten oder aber durch Gutachter oder Nachbehandler. Während des Ermittlungsverfahrens nimmt die berufsständische Vertretung über einen anwaltlichen Vertreter auch regelmäßig Akteneinsicht und lässt sich über den Stand informieren. Dies alles dient dazu, ein Bild von den Vorwürfen und darüber zu erhalten, welche Ergebnisse aus den einzelnen Ermittlungshandlungen zu erzielen waren. Mehr passiert von Seiten der berufsständischen Vertretung im Ermittlungsverfahren regelmäßig nicht. Hiernach sind im Kern folgende Varianten des berufsrechtlichen Verfahrens denkbar:
- Wird das strafrechtliche Verfahren eingestellt, so bleibt eine gesonderte berufsrechtliche Prüfung in der Regel vorbehalten und schließt sich dem Ermittlungsverfahren an. Dies ist ein separates Verfahren, in dem der Zahnarzt sich vor den berufsständischen Vertretern zu verteidigen und rechtfertigen hat.
- Kommt es zu einem Strafbefehl (schriftlichen Urteil), ist dies für das berufsrechtliche Verfahren zwar streng formal nicht präjudizierend, faktisch aber eine klare Festlegung. Regelmäßig wird die berufsständische Vertretung sich an diesem schriftlichen Urteil orientierend ihre Meinung bilden wollen.
- Kommt es zu einer öffentlichen Hauptverhandlung, wartet die berufsständische Vertretung regelmäßig das Hauptverfahren ab und entscheidet erst nach Abschluss dieses Hauptverfahrens, wie sie mit dem Fall weiter umgeht. Wird der Zahnarzt durch ein Gericht freigesprochen, schließt dies nicht aus, dass das berufsrechtliche Verfahren gesondert im Anschluss noch detailreich weiterzuführen ist. Kommt es zu einer Verurteilung nach einer öffentlichen Hauptverhandlung ist auch dies faktisch meist doch präjudizierend für das berufsrechtliche Verfahren.
///Fazit
Schon im Ermittlungsverfahren ist es sowohl für die Frage der strafrechtlichen Schuld und Sanktion entscheidend, ggf. auf die Meinungsbildung der Staatsanwaltschaft einzuwirken und sich insbesondere mit den sachverständigen Meinungen zur Abrechnungslage und damit auch meist mit den Fragen der Patientendokumentation auseinander zu setzen. Dies gilt erst recht deshalb, weil die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens auch für das berufsrechtliche Verfahren wichtig sein werden. Gelangt der Staatsanwalt zur Annahme eines hinreichenden Tatverdachts wird es zumeist noch ernster. Denn entweder ergeht regelmäßig ein Strafbefehl mit oder ohne anschließender Hauptverhandlung oder aber es kommt direkt zur Hauptverhandlung.
Wie eine Befassung mit dem Akteninhalt auszusehen hat, orientiert sich in diesem Bereich regelmäßig danach, welche Meinungen vom Sachverständigen zu Abrechenbarkeit und zur Dokumentation vertreten werden und warum, der Verdacht des Abrechnungsbetruges hiernach bestehen soll. Diese Punkte werden im nächsten Teil des Beitrages vertieft.
-AUTOR
Dr. Jens Bosbach
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht
-KONTAKT
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