Implantate brauchen Pflege – Tipps und Tricks für die Praxis

 

 

Die Nachfrage nach Implantaten und festsitzenden Versorgungen steigen. Allein in Deutschland ist die Zahl der jährlich gesetzten Implantate in den vergangenen 20 Jahren von ca. 400.000 auf mittlerweile 1,3 Millionen gestiegen. Die Gründe für den Wunsch nach einer festen Versorgung mit einem oder mehreren Implantaten sind dabei sehr vielfältig.

Heike Wilken

 

Neben dem kompletten Ersatz von fehlenden Zähnen sind weitere Vorteile von Implantaten, dass eigene vorhandene Zähne nicht beschädigt werden. Die wissenschaftlichen Daten der letzten Jahrzehnte zeigen, das die 10 -Jahres  Implantatüberlebensrate bei 90 % liegt. Trotz der hohen Überlebensraten steigt auch das Risiko einer Mukositis oder Periimplantis und somit das Verlustrisiko. Periimplantäre Weichgewebsentzündungen ohne Knochenverlust werden als Mukostits, periimplantäre Entzündungen mit Knochenverlust werden als Periimplantitis definiert.

 

/// Aber wie ist das vermeidbar wie kann ein Konzept in den Praxisalltag integriert werden?

Implantate unterscheiden sich in ihrer Verankerung im Kieferknochen wesentlich vom natürlichen Zahn, der über den Wurzelzement und die parodontalen Fasern im Kiefer gehalten wird. Das Implantat verwächst hingegen direkt mit dem Kieferknochen. Am Implantat gibt es zudem weniger Blutgefäße und Fibroblasten, als am natürlichen Zahn. Auch das Narbengewebe um das Implantat unterscheidet sich von der Gingiva am Zahn. Der Abschluss zwischen dem periimplantären Weichgewebe und dem Implantatabutment ist nicht so dicht, wie es beim parodontalen Bindegewebe der Fall ist. Außerdem haben Biofilme auf Implantatoberflächen ein erhöhtes pathogenes Potenzial.

  • Äthiologie und Risikofaktoren

Bakterielle Plaque Biofilme wurden in zahlreichen Studien als der äthiologische Faktor für die Entstehung einer periimplantären Mukositis herausgestellt. Die hieraus resultierende Immunantwort des Wirtes ist grundsätzlich mit der an natürlichen Zähnen vergleichbar.

 

  • Risikofaktoren für die Entstehung der Periimplantitis
    • Parodontale Vorerkrankungen
    • Mangelnde Compliance
    • Rauchen
    • Fehlen einer keratinisierten Mukosa
    • Festsitzender Zahnersatz
    • Vorhandene Zementreste

 

/// Nachsorgekonzept Implantpflege

Ein strukturiertes Nachsorgekonzept ist für den Behandlungerfolg entscheidend. Das erfordert gut ausgebildete, qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen. Prophylaxebehandlungen bei Implantatpatienten werden häufig jedoch sehr unterschiedlich durchgeführt und sind sehr unterschiedlich organisiert. Die Qualifikationen der Behandler/innen differieren zudem sehr stark. Ziel muss es sein, den Patienten eine bestmögliche und qualitätsorientierte Implantatnachsorge anzubieten, um Risiken und entzündliche Prozesse frühzeitig zu erkennen, zu therapieren und so die Basis für den langfristigen Erhalt des Implantats zu gewährleisten.

Im Rahmen der Nachsorge ist insbesondere die Übergangsstelle des Implantats von der Mundhöhle in den Kieferknochen eine Problemzone, der besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Hier ist ein Angriffspunkt für Mikroorganismen, der im ungünstigsten Falle sogar zum Verlust des Implantats führen kann. Um diese Gefahr zu bannen, ist von Anfang an ein professionelles Prophylaxe- Konzept in enger Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Prophylaxe Fachkraft konsequent umzusetzen.

Zum Start der Sitzung gurgelt der Patient zunächst mit zurückgelegtem Kopf mit 0,2%iger CHX- CPC Lösung für eine Minute, um die Keimzahl in der Mundhöhle und im Aerosol zu reduzieren. Speziell der in der Mundspülung enthaltene Wirkstoff CPC verringert nachweislich die SARS – CoV 2 Infektiösität. Dies trägt u.a. zur Sicherheit der Behandler bei und der Patient erfährt sofort ein angenehmes und erfrischendes Gefühl.

Nach der zahnärztlichen Untersuchung beginnt die Prophylaxe Fachkraft mit den weiteren Arbeitsschritten. Alle Indices sowie für die Mundgesundheit wichtige Patienten-Parameter (z.B. individuelles Risikoverhalten, Allgemeinerkrankungen, veränderte Medikation etc.) werden aussagekräftig und umfassend dokumentiert. Eine solche Dokumentation erleichtert die weitere Behandlungsplanung und gewährleistet eine systematische Organisation des Recalls.

Nach Abklärung der Anamnese und Dokumentation des Intraoralen Befundes sollte unter folgenden Gesichtspunkten die periimplantäre Mukosa beurteilt werden.

  •  Fallen Ödeme, Hyperplasien oder Rezessionen auf?
  •  Sind Blutungen oder Suppuration vorhanden?

Um möglichst zeitnah die Ausgangswerte, die sogenannte Baseline zu dokumentieren, hat es sich bewährt, 7 bis 14 Tage nach Eingliederung der Suprakonstruktion die Sondierungstiefen am Implantat zu messen. Wie an natürlichen Zähnen sollten immer sechs Stellen pro Implantat gemessen werden. Nachteilige Effekte durch den Einsatz konventioneller Parodontalsonden wurden in der Literatur bisher nicht dokumentiert. Daher ist die Verwendung alternativen Sonden nicht erforderlich. Bei Implantaten mit Plattformswitching kann die Messung erschwert sein. Der Druck sollte nicht mehr als 0,25 N betragen. Anschließend sollte der BOP dokumentiert werden. Die Blutung auf Sondierung (BOP) muss als Schlüsselparameter für die klinische Diagnostik periimplantärer Infektionen angesehen werden. Implantate ohne Blutung oder Suppuration können als gesund und stabil bezeichnet werden.

Liegt eine Mukositis vor, sollte ein CHX Gel zweimal in einer Sitzung appliziert werden. Da die erste Applikation in der Regel vom austretenden Blut herausgespült wird, macht es Sinn, den Vorgang zu wiederholen. Die Ausheilung einer Mukositis dauert circa vier bis sechs Wochen. Daher ist es ratsam, den Patienten dann erneut einzubestellen.

Zusätzliche Parameter für die regelmäßige Nachsorge sind:

  • Sondierung (sechs Stellen pro Implantat)
  • Blutung oder Suppuration beim Sondieren.
  • Mobilität
  • Röntgenbilder

Es empfiehlt sich bei allen Implantatversorgungen die Anfertigung einer radiologischen Referenzaufnahme, welche idealerweise zum Zeitpunkt der Eingliederung der Suprakonstruktion angefertigt werden sollte. Somit lassen sich die physiologischen Umbauvorgänge während und nach einer Implantat Insertion dokumentieren und eine zuverlässige Referenz zur Bewertung pathologischer Knochenresorption im zeitlichen Intervall definieren.

Nach Anamnese und Befunderhebung wird der Patient über den weiteren Behandlungsablauf aufgeklärt und unter Berücksichtigung seiner Möglichkeiten individuell beraten. In der praktischen Umsetzung hat sich der Grundsatz „Kommunikation ist nicht alles, aber ohne Kommunikation ist (häufig) alles nichts“ bewahrheitet. Gezielte und geschickt eingesetzte Kommunikationstechniken können motivieren und den Heilungserfolg befördern. Gerade bei älteren Patienten sind Empfehlungen und Ratschläge dosiert einzusetzen. Entscheidend ist, dass die Inhalte verstanden und vom Patienten nachvollzogen werden können.

Moderne computerunterstützte Befunderhebungsprogramme bieten hierbei dem Behandler effektive Unterstützung. Moderne Softwareprogramme bestimmen anhand der zuvor erhobenen Parameter das individuelle Risiko und dokumentieren dieses gleichzeitig reproduzierbar und professionell. Dem Patienten kann so über eine Zeitreihe hinweg der Behandlungsverlauf und -erfolg nachvollziehbar dargestellt werden.

Gerade bei Implantat Patienten ist es ein großer Vorteil, das Implantlänge und Abutmentlänge individuell für die Implantate aufgenommen werden können, die Behandlungsbedürftigkeit der Zähne bzw. Implantate werden lila hinterlegt  so dass der Behandler sofort die Behandlungsbedürftigkeit im Blick hat. Implantate werden noch zusätzlich mit einem pinken Schatten gekennzeichnet, sodass die Notwendigkeit direkt ins Auge des Behandlers fällt. Ein besonders benutzerfreundliches und leicht verständliches Programm in diesem Zusammenhang ist die Software „ParoStatus.de“ www.ParoStatus.de. Praktische Erfahrungen zeigen, dass Patienten besonders von dem sich selbsterklärenden und übersichtlichen Befundbogen profitieren, der entweder in ausgedruckter Form oder als App auf seinem Handy dem Patienten zur Verfügung gestellt werden kann.

Die Kombination einer auch für Laien „verständlichen“ Sprache mit einer farbigen „Balkengrafik“, zeigt unmissverständlich, wo Handlungsbedarf besteht. Grün bedeutet alles o.k., Gelb bedeutet Achtung, Vorsicht, dieser Bereich muss beobachtet werden und Rot wird gleichgesetzt mit sofortigem Handlungsbedarf.

Der Patientenbefundbogen bzw. die App enthalten darüber hinaus die weiteren Behandlungsabläufe, die Recalltermine sowie Empfehlungen für die häusliche Mundhygiene einschließlich individueller Pflegeartikel.

/// Reinigung

Die anschließende Reinigung erfolgt unter dem kombinierten Einsatz von Handinstrumenten (Scaler, Küretten) und maschineller Verfahrensweisen (Ultraschall-, Schallgeräte, Pulver-Wasser-Strahl etc.). Die Ansätze der Ultra- schall- und Schallgeräte sowie die Handinstrumente sollten aus Kunststoff, Karbon oder Titan bestehen.

Die empfindlichen Implantatoberflächen sind dadurch vor Beschädigungen geschützt. Kratzer und Rauigkeiten auf den Implantatoberflächen sind Prädilektionsstellen für Bakterien und müssen unbedingt vermieden werden. Maschinelle Verfahrensweisen mit modifizierten Ansätzen für Implantate bieten eine Reihe von Vorteilen, können den Einsatz von Handinstrumenten aber nicht komplett ersetzen. Weiterhin kann eine Pulver-Wasser-Strahl-Anwendung sinnvoll sein. Wichtig ist hierbei, dass nur mit minimalabrasivem Pulver gearbeitet wird.

Handinstrumente als auch maschinelle Verfahrensweisen erfordern zwingend umfassende Kenntnisse der eng umgrenzten Indikation im Implantat Bereich und fundiertes Wissen über Kontraindikationen. Der schmale Grat, zwischen optimaler Reinigung ohne Substanzveränderung der Implantatoberfläche und der Gefahr erheblicher Beschädigungen bei unsachgemäßer Anwendung, muss jeder Prophylaxe Fachkraft bewusst sein. Es spielt keine entscheidende Rolle in welcher Reihenfolge welche Instrumente und Geräte eingesetzt werden. Entscheidend ist vielmehr, dass der Behandler sie „richtig“ anwendet.

/// Politur

Mit der abschließenden Feinpolitur mit einer speziellen Implantatpolierpaste wird die erneute Plaqueanlagerung an den glatten Implantatoberflächen gehemmt. Mit Zahnseide oder Interdentalbürstchen wird die Zahnzwischenraumreinigung (ohne Paste) vorgenommen.

 

/// Mundhygienempfehlung

Maßnahmen zur Instruktion und Motivation sind individuell auf den Einzelfall bezogen erforderlich. Kommunikativ muss der Patient mit seinen Stärken und Schwächen, seinen Vorbehalten da abgeholt werden, wo er gerade steht.

Die häusliche Mundhygiene nach der Einheilungsphase der Implantate stellt an Patient und Hilfsmittel hohe Anforderungen. Besonders wichtig ist, dass die Implantatoberfläche nicht zerkratzt werden darf. Am Implantathalsbereich ist eine konsequente Plaque Biofilmbeseitigung notwendig. Dazu können u.a. weiche Floss-Streifen verwendet werden. Hauptaugenmerk ist aber den Zahnbürsten zu widmen. Bei diesen ist Modellen mit weichen Filamenten unbedingt der Vorzug zu geben.

Aktuell sind elektrische Zahnbürsten mit sehr weichen Filamenten das Mittel der Wahl. Hinsichtlich der Antriebsart scheint es so zu sein, dass eine Schallzahnbürste sich eher für Patienten eignet, die zu den Putzmuffeln zu zählen sind. Schallaktive Zahnbürsten müssen nicht so genau geführt werden, der längliche Bürstenkopf reinigt gleichzeitig größere Flächen. Runde Bürstenköpfe der oszillierend-rotierenden Zahnbürsten sind eher für Patienten geeignet, die engagiert in Ruhe jeden einzelnen Zahn putzen. Eine sehr effektive Lösung, Implantate zu pflegen, stellen sog. Single- oder Solobürsten dar.

Je nach prothetischer Versorgung und Zugänglichkeit ist die Handhabung immer mit dem Patienten in der Praxis zu einzuüben. Der Einsatz bzw. die Empfehlung von Zahnseide, das wohl am wenigsten akzeptierte Mundhygienehilfsmittel, will gut überlegt sein. Moderne Flausch-Zahnseiden, die den Implantatzwischenraum ausfüllen, sind eine sinnvolle Ergänzung, jedoch nur mit viel Übung und motivierten Patienten … Bei weniger motivierten Patienten gilt: Ein korrekt angepasstes Interdentalraumbürstchen oder ist die bessere Wahl!

Die Empfehlungen einschließlich einer konkreten Anleitung, wo welches Hilfsmittel eingesetzt werden soll, wird ebenfalls in den zuvor schon angesprochen Patientenbefundbogen (ParoStatus.de) übernommen.

/// Fazit

Das Prophylaxekonzept entfaltet seine optimale Wirkung, wenn es den Implantat-Patienten langfristig begleitet und in dessen Alltagsabläufe integriert wird.. Nachlassende Compliance, unzureichende Mundhygiene, biomechanische Probleme oder auch gesamtgesundheitliche Einflüsse können mit einem derart angelegten Konzept erkannt und aufgefangen werden.

 

– AUTORIN

Deutsche Gesellschaft für Dentalhygieniker*innen
Heike Wilken
2. Vorsitzende der Deutsche Gesellschaft für Dentalhygieniker*innen (DGDH) e.V.

 

– KONTAKT

Deutsche Gesellschaft für Dentalhygieniker*innen (DGDH) e.V.
Fasanenweg 14
48249 Dülmen
E-Mail: wilken@dgdh.de
Internet: www.dgdh.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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