Genau mein Fall – mehr Lebensqualität für Angstpatienten

Abb. 6 Laborarbeit: Die endgültige Kunststoffbrücke noch ohne Titanverstärkung.

 

 

Entscheidend für implantatgetragene Vollversorgung: Teamwork in Prothetik, Oralchirurgie und Zahntechnik.

Daniel Liss

 

Massive Zahnarzt-Angst mit Vermeidungsstrategie kann schwerwiegende Folgen haben. In diesem Fall waren das eine eingewachsene Modellguss-Prothese, chronisch entzündete Gingiva, Mundgeruch, abgebaute Gesichtsmuskulatur, Schmerzen und Probleme beim Beißen und Kauen. Doch durch die enge und erfolgreiche Zusammenarbeit von Oralchirurgen, Prothetiker und Zahntechniker konnte die Patientin am Ende wieder lächeln.

 

/// Befund

Die Patientin (64 Jahre) kam im Oktober 2022 ins Zahnzentrum AllDent Leipzig. Sie stellte sich bei der zahnärztlichen Oberärztin Dr. Yun-Chie Roh vor, mit dem Wunsch für festsitzenden Zahnersatz. Wegen großer Zahnarztangst lag die letzte Kontrolluntersuchung zehn Jahre zurück. So alt waren ihre Modellgussprothesen im Ober- und Unterkiefer, welche die Patientin seit fünf Jahren nicht entfernt hatte. Zähne und Zahnersatz waren verblockt mit Zahnstein. Zusätzlich verhinderte eine Gingivahyperplasie durch die skelettierte Platte der Oberkiefermodelgussprothese das Entfernen. Der Leidensdruck setzte sich zusammen aus wiederholt auftretenden Schmerzen, starkem Mundgeruch, Schwierigkeiten, harte Nahrung zu beißen und zu kauen. Lächeln oder Lachen wurde vermieden. Die Gesichtsmuskulatur war so weit atrophiert, dass die Patientin die Mundwinkel kaum mehr zu einem Lächeln heben konnte. Das CMD-Screening war auffällig (Mundöffnung asymmetrisch, Gelenkgeräusche und Muskelpalpation schmerzhaft). Im Oberkiefer waren noch neun, im Unterkiefer sechs Zähne vorhanden. Einzig 13 und 23 konnten mit 40 Prozent Restknochen als erhaltensmöglich gelten. Alle anderen wiesen einen Lockerungsgrad von I-III bei 80 bis 95 Prozent Knochenabbau auf. Im Rahmen einer Regelversorgung hätte die Patientin Anspruch auf eine Totalprothese im Unterkiefer gehabt. Im Oberkiefer wäre eine Cover Denture mit Teleskopen auf 13 und 23 nach erfolgreicher Pardodontitis-Behandlung sowie cervikaler Kariesbehandlung möglich gewesen. Nach eingehender Beratung inklusive der Aufklärung über Kosten und den Eingriff in Vollnarkose entschied sich Frau R.  für das Konzept implantatgetragener Fester Dritter Zähne (FDZ) an einem Tag.

/// Therapieplanung

Als Grundlage der Therapieplanung diente ein Orthopantomogramm (OPG) sowie eine digitale Volumentomographie (DVT). Das FDZ-Konzept musste wegen der Gegebenheiten (Gingiva Hyperplasien, starke Entzündungen, hohe Lockerungsgrade, Schmerzen, CMD-Auffälligkeit) zeitlich erweitert werden.
Um die Modellgussprothesen zu entfernen, war eine Professionelle Zahnreinigung (PZR) und eine Gingivaexzision am Harten Gaumen notwendig. Danach wurden alle Zähne extrahiert; aufgrund des Patientenwunsches nach FDZ inklusive 13 und 23. Um die Zahnstellung, -form und Bisslage neu einzustellen, wurden zwei herausnehmbare Interimstotalprothesen geplant, außerdem Physiotherapie und Lachtraining. Nach abgeschlossener Vorbehandlung folgte eine FDZ-Analyse zur Herstellung idealer Totalprothesen. Diese dienten als Grundlagen für den definitiven Zahnersatz und die Implantierschablonen. Drei Monate nach Extraktion fand die eigentliche FDZ-OP statt.

 

Therapie
Nach der PZR war es möglich, die Unterkieferprothese zusammen mit Zahn 47 zu entnehmen. Hausintern übernahm Dr. Irene Göllnitz die chirurgische Vorbehandlung und entfernte die Gingivahyperplasie sowie die Oberkieferprothese. Hier war eine kleine Lappenplastik zur Defektdeckung notwendig. Danach konnte der aktuelle Zahnbefund und ein OPG aufgenommen werden. Die Interimstotalprothesen wurden beantragt und alle verbliebenden Zähne extrahiert. Nach zwei Wochen Abheilung begann die Herstellung der Interimstotalprothesen. Hierfür war eine erste Alginatabformung notwendig, gefolgt von Funktionsabformung mit individuellen Löffeln, eine Bissnahme mit Wachswällen und Planefinder, zwei kosmetische Einproben, die Fertigstellung und Druckstellenkontrolle. Zeitgleich wurde Physiotherapie und Lachtraining verschrieben. Durch die manuelle Therapie und die korrekt eingestellte Bisslage konnte das Kiefergelenk erfolgreich therapiert werden. Zusätzlich trainierte die Patientin die Muskulatur für Lachen und Lächeln. Nach Gewöhnung an die Interimsprothese hatte die Patientin keine CMD-Auffälligkeiten oder Beschwerden mehr.

Zur Vorbereitung der FDZ-OP war schließlich eine ausführliche Analyse in Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Zahntechnikermeister Sebastian Pecher nötig. Diese umfasst Fotos und Videos zur Feststellung von Lautbildung, Lippenunterstützung, Gesichtsmitte, Position von Zahn- und Schneidekante, Lachlinie (deswegen das „Lachtraining“) und Zahnform. Dann folgten eine erneute Abformung, Bissnahme, Zahnfarbberatung und Einprobe. Nach der Einprobe der neu erstellten und exakt angepassten Totalprothesen wurden diese in Kunststoff umgesetzt. Diese Totalprothesen dienten als Grundlage der definitiven Versorgung und der Implantierschablone.

Am Tag der Operation wurde unter Vollnarkose von den Chirurgen Dr. Irene Göllnitz und Dr. Wolfgang Bolz je vier Implantate im Ober- und Unterkiefer gesetzt (Straumann Neodent GM 3,75 und 13 mm Regio 15, 12, 22, 25, 35, 32, 42, 45). Im Oberkiefer war ein beidseitiger Sinuslift notwendig. Die distalen Implantate waren jeweils nach distal anguliert. Dadurch reduzierte sich die Anhängerspanne und mit der Primärstabilität über 50 N/cm bei jedem Implantat war eine Sofortbelastung von 16 bis 26 sowie 36 bis 46 möglich. Noch am Nachmittag konnte der festsitzende Zahnersatz eingegliedert werden. Parallel zur chirurgischen Behandlung waren die vorbereiteten Totalprothesen als implantatgetragene Brücken umgearbeitet worden.

/// Nachsorge

Frau R. wurde mit festen Zähnen im Ober- und Unterkiefer entlassen. Am Abend konnte sie bereits feste Nahrung zu sich nehmen. Der Heilungsprozess verlief ohne Komplikationen und weitgehend schmerzfrei. Während der nächsten drei Monate fanden drei Nachsorgetermine statt, unter anderem mit Nahtentfernung, Mundhygiene-Unterweisung und Index-Abformung. Nach Abheilung wurde auf Grundlage der Index-Abformung ein Titangerüst erstellt und in die bestehenden Kunststoffbrücken zur Verstärkung eingearbeitet. Dreimal im Jahr sind Recalls mit Professioneller Zahnreinigung angeraten.

/// Fazit

Gerade bei Angstpatienten ist der Leidensdruck sehr groß, bis sie die Hürde „Zahnarztbesuch“ schließlich überwinden. Die Alternative zur Behandlung mit Vollversorgungen auf je vier Implantaten wäre hier die Regelversorgung mit einer Totalprothese im Unterkiefer und Cover Denture im Oberkiefer gewesen. Diese bringt die bekannten Nachteile mit schlechtem Halt und wenig Komfort mit sich. Der freie Gaumen und die festen Zähne bedeuten eine Verbesserung der Lebensqualität beim Schmecken, Essen und Sprechen. Die Patientin hat wieder gelernt zu lachen und ihre Zähne zu zeigen. Trotz des notwendigerweise ausgedehnten Behandlungsablaufs konnte eine lange Zeit der Zahnlosigkeit durch Interimsprothesen vermieden werden. Aufgrund der umfangreichen Vorplanung bedeuten FDZ in der Regel lediglich sechs bis sieben Stunden echte Behandlungszeit. Entscheidend bei dieser komplexen Therapie sind die räumliche Nähe und reibungslose Teamarbeit von Prothetikern, Chirurgen, Zahntechnikern und nicht zuletzt Anästhesisten.

– AUTOR
Daniel Liss, Zahnarzt

 

– KONTAKT
AllDent Leipzig
Petersstraße 32-34
04109 Leipzig

www.alldent-zahnzentrum-leipzig.de

 

BU’s

Abb. 1 OPG beim Erstbefund: Die Prothesen waren durch Zahnsteinverblockungen und Gingivahyperplasien nicht mehr herausnehmbar

Abb. 2 OPG nach Entfernung von Zahnstein, Gingivahyperplasien und Prothesen (inklusive Zahn 47)

Abb. 3 OPG nach OP: Durch den starken Neigungswinkel der Implantate wird sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer eine Versorgung von 6 bis 6 möglich. Dies reduziert unter anderem die Länge des Anhängerabschnitts und ermöglicht die Sofortbelastung der Brückenkonstruktion. Trotz geringen Knochenangebotes sind vier Implantate zur Verankerung ausreichend

Abb. 4 Biss nach PZR: Entzündungen und Rezessionen sind deutlich erkennbar

Abb. 5 Erste kosmetische Einprobe der Interimsprothesen. Die Patientin hat aufgrund atrophierter Gesichtsmuskeln Probleme beim Lächeln

Abb. 6 Laborarbeit: Die endgültige Kunststoffbrücke noch ohne Titanverstärkung.

Abb. 7 Die neuen FDZ-Zähne  (close up front): Die Brücke muss ponticartig konvex angelegt sein, um mit Floss und Munddusche gut gepflegt werden zu können

Abb. 8 Glückliche Patientin