Notfall in der Zahnarztpraxis: Der Anti-Chaos-Plan

In ihrer Zahnarztpraxis läuft an diesem Morgen alles wie geschmiert – bis Herr Baumann im Wartezimmer plötzlich zusammenklappt. Jetzt muss es schnell gehen. Hätten sie mit Ihrem Praxisteam alles im Griff oder bricht das pure Chaos aus? 

Redaktion

 

Stellen sie sich vor, es ist 09:30 Uhr. Ihre Zahnarztpraxis tickt wie ein Uhrwerk, alle Behandlungsräume sind belegt, Hektik und Eile liegen in der Luft. Dann ein Schrei, Gepolter, Aufruhr. Einige Sekunden später fliegt die Tür auf. Ihre Helferin schreit, Herrn Baumann im Wartezimmer geht es richtig schlecht. Sie eilen hin und finden den Mann am Boden liegend vor: weiß-blau-grau im Gesicht schnappt Herr Baumann nach Luft, die Augen verdreht. Und um sie herum stehen fünf entsetzte Patienten. 

Jetzt muss eine Helferin den Wartebereich räumen, eine andere den Notruf absetzen, eine weitere muss Ausrüstung samt Defibrillator beschaffen. Und dann brauchen sie auch noch Hände an ihrer Seite, die sie fachlich und auch psychologisch unterstützen. Doch in der Realität stehen ihnen nur zwei Assistenzkräfte zur Verfügung. Die Lage zwingt sie zum Handeln: Sie müssen sofort Prioritäten setzen. Mit einem klaren Konzept und einem gut geschulten Team retten sie Leben!

/// So sieht ein strukturierter Plan für Notfälle aus

Doch die Realität sieht anders aus. In vielen Praxen fehlt ein strukturierter Plan für Notfallsituationen. Wertvolle Zeit geht verloren, weil nicht jeder Handgriff sitzt. An dieser Stelle ist ein Konzept für Notfallsituationen in einer Zahnarztpraxis lebensrettend: Es nützt ihnen nichts, wenn sie nach der Ausrüstung rufen, aber nicht klar ist, wo sich was in welchem Zustand befindet, von dem auch noch die Hälfte abgelaufen ist. Oft wird dann auch noch der Azubi zum Telefon geschickt – und das könnte die Achillesferse dieser Notfallsituation sein. Die folgenden Punkte können im Ernstfall den Unterschied zwischen Überleben und Tod bedeuten:

1. Alarmierung des Teams:

  • Tritt ein Notfall ein, müssen alle Teammitglieder trotz räumlicher Trennung zuverlässig informiert werden. Dies könnte über einen Gong oder einen Schlüsselsatz passieren („Sauerstoff in Raum 2, bitte“), damit Patienten in anderen Behandlungsräumen nicht in Unruhe geraten.

2. Notruf:

  • Der Notruf sollte von einer erfahrenen Mitarbeiterin durchgeführt werden. Wird nur ein „Krankenwagen“ bestellt, dann warten sie, und es könnte ein tödlicher Irrtum sein. Die Mitarbeiterin sollte in der Leitstelle explizit einen Rettungswagen und einen Notarzt verlangen, wenn eine vitale Bedrohungslage vorliegt. 
  • Ein erfolgreicher Notruf muss dem Praxis-Verantwortlichen rückgemeldet werden.
  • Stellen sie eine Checkliste für die korrekte Durchführung des Notrufs zur Verfügung. Auf der Liste sollten bereits die korrekte Straße und die Telefonnummer hinterlegt sein.
  • Die Praxis muss für eventuelle Rückfragen der Leitstelle erreichbar bleiben, bis das erste Rettungsmittel eingetroffen ist. Optimalerweise hat der Notrufende ein mobiles Telefon dabei und kann bei der Patientenversorgung mitwirken.

3. Kommunikation:

  • Unruhe steckt an. Je ruhiger sie selbst als Praxisinhaber sind, desto ruhiger wird ihr Team agieren.
  • Jedes Teammitglied sollte Anweisungen wiederholen. Damit vermeidet das Team gefährliche Missverständnisse. („Frau Müller, ziehen Sie mir bitte eine Ampulle Ebrantil® auf?“ – „Ja. Eine Ampulle Ebrantil® kommt.“)
  • Hat ein Teammitglied Bedenken hinsichtlich einer Maßnahme, muss dies sofort rückgemeldet werden.

4. Organisation:

  • Das Material sollte gecheckt und vollständig sein. Alles sollte sich an einem Ort befinden.
  • Jeder sollte auf das Material eingewiesen sein und wissen, wie man damit umgeht. 
  • Modultaschen im Notfallrucksack machen die Nutzung einfacher. Diese können für die wichtigsten Krankheitsbilder vorgepackt werden. In der deutlich beschrifteten Tasche für die ANAPHYLAXIE ist dann z.B. ein EpiPen® samt übersichtlicher Dosierungsanleitung enthalten. Vorteil: Das Praxisteam muss in dieser Stresssituation weniger nachdenken und läuft weniger Gefahr, etwas zu vergessen.
  • Stellen sie laminierte Algorithmen zum Nachsehen bereit! Kopflosigkeit, Nervosität und mangelnde Routine sind ein Feind jeder Notfallsituation – der jederzeit zugängliche Algorithmus ist ein roter Faden dagegen.

5. Priorisierung:

  • Zuerst die Pflicht, dann die Kür: Legen sie mehr Wert auf solide Basics, anstatt auf hochkomplexe Maßnahmen. Einen Tubus in einer Trachea zu platzieren ist für jemand Ungeübtes ein Himmelfahrtskommando!
  • Verwenden sie nur Medikamente, die sie in ihrer Anwendung sicher beherrschen. Experimente sind lebensgefährlich.
  • Im Notfall besser zu viel Sauerstoff als zu wenig. Am besten über eine Maske.

 

Automatismen schaffen freie Kapazitäten: Organisieren sie für ihre Mitarbeitenden mindestens einmal jährlich ein Notfalltraining. Dieses Training sollte nicht nur Reanimation und Defibrillation umfassen, sondern auch ausgewählte Krankheitsbilder behandeln, die genau auf ihre Praxis zugeschnitten sind. Bieten sie ihrem Praxisteam auch mal ein Simulationstraining an, denn das macht Spaß, bedeutet Abwechslung und bringt Sicherheit. Je geübter ihr Team ist, desto komplikationsloser werden Notfälle in ihrer Zahnarztpraxis ablaufen.

 

/// Das CRM verbessert Teamarbeit und Kommunikation

Crew Resource Management (CRM, auch: Team Ressource Management) ist ein Trainingskonzept, das ursprünglich aus der Luftfahrt stammt und auf die Medizin übertragen wurde, um die Teamarbeit und Kommunikation in Hochrisikoumgebungen zu verbessern. Es lehrt medizinisches Personal effektiv zusammenzuarbeiten, klare Kommunikationswege zu etablieren und Entscheidungsprozesse zu optimieren, um Fehler zu reduzieren und die Patientensicherheit zu erhöhen. Durch die Anwendung von CRM-Prinzipien im Gesundheitswesen können Teams potenzielle Gefahren früher erkennen, angemessen reagieren und somit die Qualität der Patientenversorgung verbessern. 

/// Die Grundsätze des Crew-Ressource-Management im Einzelnen:

  1. Kenne deine Arbeitsumgebung;
  2. Antizipiere und plane voraus;
  3. Hilfe anfordern – lieber zu früh als zu spät;
  4. Übernimm die Führungsrolle oder sei ein gutes Teammitglied mit Beharrlichkeit;
  5. Verteile die Arbeitsbelastung;
  6. Mobilisiere alle verfügbaren Ressourcen (Personen und Technik);
  7. Kommuniziere sicher und effektiv – sag, was dich bewegt;
  8. Beachte und verwende alle vorhandenen Informationen;
  9. Verhindere und erkenne Fixierungsfehler;
  10. Habe Zweifel und überprüfe („double check“, nie etwas annehmen);
  11. Verwende Merkhilfen und schlage nach;
  12. Re-evaluiere die Situation immer wieder;
  13. Achte auf gute Teamarbeit – andere unterstützen und koordinieren;
  14. Lenke deine Aufmerksamkeit bewusst;
  15. Setze Prioritäten dynamisch.

 

Bei Notfällen in der Zahnarztpraxis schnell entscheiden und richtig handeln! Beginnend mit der kommenden Ausgabe des dental:spiegel fassen wir – kooperierend mit dem Malteser Hilfsdienst e.V. in München – in einer Artikelserie die wichtigsten Notfallsituationen von A bis Z mit wichtigen Informationen und wertvolle Tipps auf übersichtlichen Doppelseiten zusammen:

  • Wie erkenne und unterscheide ich die jeweiligen Symptome?
  • Welche Entscheidungen muss ich wie priorisieren?
  • Schritt-für-Schritt-Anleitung für das praktische Vorgehen in der Praxisroutine
  • Welche Medikamente werden benötigt?
  • „Gut zu wissen“ – für jeden Notfall auch die Hintergrundinformationen kennen