Jeder zweite Deutsche Bundesbürger (m/w/d) über 35 Jahren besitzt nach der deutschen Mundgesundheitsstudie parodontale Defekte. Das sind mehr als 45 Millionen Betroffene, von denen sich bisher nur ca. 3 % in einer aktuellen, parodontalen Therapie befinden. Viele Patienten sind verunsichert durch Informationen über multiresistente Keime, den zu häufigen Einsatz von systemischer oder lokaler Antibiose oder anderen chemisch basierten Mundgesundheitsprodukten. Sie suchen nach biologischen, ganzheitlichen Alternativen und wünschen sich entsprechende kompetente Beratung und Aufklärung.
Frau Kulka, Sie sind Zahnärztin aus Leipzig und gelten auf dem Gebiet der systemisch- ganzheitlichen Zahnmedizin bereits seit einiger Zeit als Vorreiterin. Seit wann beschäftigen Sie sich mit Ihren Patienten auf dieser Basis und was hat Sie seinerzeit dazu gebracht?
Meinen Blick vom lokalen Symptom hin zur tatsächlichen Ursache zu lenken, begann ich vor ca. zehn Jahren. Es war mir unangenehm, meinen Patienten nach einer Parodontitistherapie erklären zu müssen, dass sich die Situation zwar verbessert hat, aber nicht zum Stillstand gekommen sei. So begann ich, die Ursachen für diese chronische Erkrankung zu hinterfragen. Heute weiß ich, dass die Ursachen oft nicht lokal am Parodont sitzen. Ich verfolge deshalb einen systemischen Ansatz und nehme den Menschen mit seinen umfassenden körperlichen Zusammenhängen wahr. Meine Erfahrungen ermöglichen mir mittlerweile, Zusammenhänge zwischen parodontaler und allgemeiner Gesundheit herzustellen, um daraus eine frühdiagnostische Beurteilung der immunologischen Regulationsfähigkeit des Organismus abzuleiten.
Gibt es besondere Lektüre-Empfehlungen, Fortbildungen oder wissenschaftliche Vereinigungen, die Sie empfehlen können und mit deren Hilfe sich entsprechendes Detailwissen aneignen lässt?
Inzwischen ist es für jeden möglich, sich in diesen Bereichen fortzubilden. Verschiedene Gesellschaften und medizinische Labore bieten mittlerweile Fortbildungen und individuelle Beratungen zu diesem Thema an. Als besondere Lektüre empfehle ich tatsächlich Biochemie-Bücher. Wer die Abläufe versteht, erkennt, wo man therapeutisch ansetzen kann.
Welche besonderen Ansätze verfolgen Sie in Ihrer Praxis bezüglich einer ganzheitlichen Anamnese/Diagnostik und was sind die Konsequenzen daraus für Ihren Therapieplan?
Den ersten Einblick ermöglicht mir der Patient bei einem umfangreichen Anamnesegespräch. Die Befunde aus der umfassenden Inspektion der Mundhöhle, des Gesichts und der Augen bestätigen mir die anamnestischen Angaben oder weisen auf noch unbekannte Veränderungen hin. Dabei nimmt bei mir die Diagnostik der Mundschleimhaut eine entscheidende Rolle ein. Bei Bedarf werden noch Blutwerte oder Röntgenbilder angefordert. Auf Wunsch steht dem Patienten dann ein seit Jahren gewachsenes Ärzte- und Therapeuten-Netzwerk zur Verfügung. Gemeinsam kann dann ein individuell aufeinander abgestimmtes Therapiekonzept erstellt werden.
Für Überweiserpatienten ist es oft die Suche nach der „Nadel im Heuhaufen“, um den Grund für eine erkannte silent inflammation zu finden. Für Patienten mit zahnmedizinischem Anliegen soll diese Herangehensweise Symptome beheben, bessere Therapieergebnisse ermöglichen und dauerhaft erhalten. Bei allen Patienten fördert mein Behandlungskonzept das Bewusstsein für Ihre eigene Gesundheit und Prävention – die Voraussetzungen für den Erfolg aller Therapieansätze.
Gibt es besondere Produkte, die sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben und welche für ihre Art der Behandlung einen besonderen Nutzen bieten?
Ja. Mittlerweile gibt es etliche tolle Produkte, die unsere Arbeit wesentlich unterstützen können. Viele Patienten leiden zum Beispiel an Wundheilungsverzögerungen oder -störungen. Die Wundheilungsprozesse können beispielsweise mit dem CoEnzym Q 10 sehr erfolgreich verbessert werden.
Was genau ist denn das Coenzym Q 10 und was sind dessen Wirkmechanismen in der Zelle?
Coenzym Q 10, auch Vitamin Q10 oder Ubichinon genannt, ist ein natürlich vorkommendes Coenzym, welches in jeder pflanzlichen und tierischen Zelle vorkommt. Wie eine Art Biokatalysator liefert es die Energie für Muskelkontraktionen und andere wichtige Zellfunktionen und ist somit sehr wichtig für die Vitalität und Leistungsfähigkeit unseres Körpers. Eine weitere wichtige Funktion von Coenzym Q10 ist, dass es als primärer Radikalfänger für freie Radikale (FRs) fungiert. Es dient somit als endogenes Antioxidans, welches in der Lageist, fortgeschrittene parodontale Entzündungen wirksam zu unterdrücken.
Wann und für welche Indikationen verwenden Sie Q 10?
Ein Mangel an Coenzym Q 10 an seinen Enzymstellen im Zahnfleischgewebe kann unabhängig von und /oder aufgrund einer Parodontitis vorliegen. Wenn im Zahnfleischgewebe aus ernährungsbedingten Gründen und unabhängig von Parodontalerkrankungen ein Mangel an Coenzym Q 10 vorhanden ist, könnte das Auftreten einer Parodontalerkrankung den Zahnfleischmangel von Coenzym Q 10 verstärken. Deshalb verwende ich das Produkt ParoMit Q10 bei der Parodontitis- und Gingivitistherapie. Bereits bei der ersten PZR wird in meiner Praxis ParoMit Q 10 empfohlen und, wenn gewünscht, angewendet.
Wie würden Sie die Ergebnisse mit ihrer Behandlungsmethode bei ihren Patienten beschreiben?
Bereits nach wenigen Tagen der Anwendung geben meine Patienten eine deutlich reduzierte Schmerzempfindlichkeit des Zahnfleischs und ein geringeres Auftreten von Zahnfleischbluten an. Auch wird die Anwendung immer als sehr angenehm empfunden. Der Geschmack sei gut und man hätte das Gefühl, das Zahnfleisch zu pflegen – ähnlich der Anwendung einer hochwertigen Lotion auf der Haut. Die Compliance bei der Anwendung war somit bei nahezu jedem Patienten gut. Klinisch konnten wir bei fast allen Patienten bereits nach drei Wochen eine signifikante Reduktion des Zahnfleischspaltes, der Sondierungstiefe und des Anhaftungsverlusts sowie eine signifikante Verbesserungen des SBI feststellen.
Wo sehen Sie wesentliche Unterschiede im direkten Verhältnis zu klassisch chemisch orientierten Produkten wie beispielsweise Chlorhexidin, lokale oder systemische Antibiose?
In der heutigen Zeit wird immer wieder vor der Zunahme von widerstandsfähigen Keimen gegen Antibiotika gewarnt. Auch die Nebenwirkungen auf unsere nützliche Bakterienflora, die sich zum Beispiel mit Magen- Darm- Beschwerden und allergischen Hautreaktionen zeigen, sollten uns motivieren, so selten wie möglich Antibiotika zum Einsatz zu bringen. Dennoch sind und bleiben Antibiotika unerlässliche, lebensrettende Mittel, um Bakterien abzutöten und ihre Vermehrung zu verhindern. Chlorhexidin ist eine Art von lokaler Desinfektion, die ebenfalls das Ziel verfolgt, Keime zu vernichten. Bei Langzeitanwendungen konnte ich allerdings beobachten, dass die Wundheilung verzögert war und es zur Ausbildung chronischer Entzündungen kam.
Der wesentliche Unterschied zu den klassischen Therapiemitteln ist, dass Q10 nicht auf die Keime selbst einwirkt, sondern die körpereigene Immunabwehr unterstützt und es dem Organismus selbst ermöglicht, eine erfolgreiche Wundheilung stattfinden zu lassen. Solch unerwünschte Nebenwirkungen, wie gerade beschrieben, nämlich Resistenzbildungen oder wundheilungsverzögernde Einflüsse treten nicht auf, so dass auch die Dauer der Anwendung den individuellen Bedürfnissen angepasst werden kann.
Glauben Sie, dass die ganzheitliche biologische Zahnmedizin weiterhin nur ein kleiner Nischenbereich in der Dentalmedizin bleibt oder gehen Sie davon aus, dass diese Entwicklungen und Forschungsergebnisse die Zukunft der Zahnmedizin maßgeblich beeinflussen werden?
Ob nun ganzheitlich, holistisch, systemisch oder komplementär – dass der Körper im Ganzen funktioniert, ist mittlerweile wieder stärker in den Fokus gerückt. Chronische Erkrankungen in der Bevölkerung nehmen zu und reduzieren die Lebensqualität und Mobilität. Wer will das schon? Unser Gesundheitssystem ist auf akute Erkrankungen spezialisiert und ist nirgendwo besser auf der Welt aufgestellt als bei uns, wenn wir schnell Hilfe benötigen.
Wer jedoch frühzeitig Störungen oder Dysbalancen im System des menschlichen Organismus erkennen und diese beheben möchte, bevor eine chronische Erkrankung entsteht, kann meist nicht auf unser Gesundheitssystem zurückgreifen. Auch bei Behandlungen der Ursache, die häufig nicht am Ort der Symptome sitzt, ist man oft auf die Zusammenarbeit mit anderen Kollegen und Therapeuten angewiesen, was sich heute oft schon rein organisatorisch ohne Netzwerk nicht umsetzen lässt.
Auch wenn es für uns Ärzte viele Hindernisse gibt, so treiben uns doch unsere Patienten an, in diese Richtung zu gehen. Unsere Patienten sind mittlerweile so gut aufgeklärt, dass die Fragen nach Alternativen zur klassischen Therapie immer häufiger werden. Wer diese anbieten will und kann, wird unsere medizinische Zukunft zu unser aller Vorteil positiv beeinflussen.
Frau Kulka, vielen Dank für das Gespräch.
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