Zurück in die Steinzeit – zumindest ein bisschen

Julia Diedrich

Was Ernährung vorbeugend gegen Karies und Parodontitis leisten kann –

Bildhafte Beratung und flankierende Maßnahmen in der Therapie.

Julia Diedrich

Der Zusammenhang zwischen Ernährung, allgemeiner Gesundheit und Mundgesundheit ist unbestreitbar. Meist gerät diese Tatsache bei einer zahnmedizinischen Behandlung nicht zuerst in den Blick, sollte jedoch vom zahnmedizinischen Fachpersonal den Patienten immer wieder verdeutlicht werden. Im Negativ-Fokus sollten vor allem hochglykämische Kohlenhydrate stehen, sie liefern unmittelbar Nahrung für Kariesbakterien und begünstigen zudem Entzündungsreaktionen im Körper. Zusammen mit gesättigten Fettsäuren spielen Zucker und Weißmehl – vor allem in stark verarbeiteten Lebensmitteln vorkommend – eine tragende Rolle bei Übergewicht und damit häufig verbundenen Zivilisationskrankheiten wieDiabetes Typ II, Arteriosklerose, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselproblemen sowie Zahnbetterkrankungen (Parodontitis). Woran es beim mundgesunden Essen hapert, sind pflanzenbasierte Lebensmittel. Möglicherweise lautet eine gangbare Empfehlung: Zurück in die Steinzeit – zumindest ein bisschen. Die erstaunlichen Ergebnisse eines Experiments halten jedenfalls der wissenschaftlichen Überprüfung stand – häufig ein Augenöffner im Patientengespräch.

 

Zehn Teilnehmer, die vier Wochen unter Steinzeitbedingungen gelebt hatten, standen 2007 im Mittelpunkt einer Serie im Schweizer Fernsehen. Neben den Kameras begleitete auch ein Stab aus Medizinern das Experiment. Der zahnärztliche Befund: Aufgrund mangelnder moderner Mundhygiene nahm erwartungsgemäß der Zahnbelag zu. Erstaunlich war jedoch, dass dies nicht zu vermehrten Zahnfleisch-Entzündungen führte. Der Gingivitis-Index blieb praktisch unverändert. Sondierungstiefen und der Blutungsidex (BOP) gingen sogar zurück.

Eine randomisierte, kontrollierte Pilotstudie der Universität Freiburg bestätigte 2016, dass dies unter anderem auf das Fehlen von raffiniertem Zucker und Weißmehl zurückging. Da sich mit einer entsprechend optimierten Ernährung sämtliche Entzündungsparameter reduzierten, lautet die Schlussfolgerung: Moderne, westliche Ernährungsgewohnheiten mit vielen kurzkettigen Kohlenhydraten und gesättigten Fettsäuren -fettigem Gebäck, Schokolade, Sahne oder Wurst – fördern entzündliche Reaktionen nicht nur im Mund, sondern im ganzen Körper.

 

Daraus ließen sich in ergänzenden Studien weitere Ernährungsempfehlungen zur Prävention und Behandlung von Gingivitis und Parodontitis ableiten. Vor allem Omega­3­Fettäuren (beispielsweise aus Fisch und Nüssen) wirken offensichtlich durch aktive Metabolite (spezielle Lipidmediatoren) entzündungshemmend. Gesättigte Fettsäuren oder Transfette, die bei starker Hitze entstehen (Frittierfett) lassen dagegen Blutzucker und Insulin schnell ansteigen, was wiederum entzündliche Prozesse fördert. Der Zusammenhang von Diabetes und Parodontitis ist demnach kein Zufall!

 

Ebenfalls wird zunehmend über den Zusammenhang von Ernährung und gesunder Mundflora diskutiert. Die Mikrobiom-Forschung zeigt beispielsweise eine klare Beziehung zwischen dem Darm-assoziierten und dem Schleimhaut-assoziierten Immunsystem. Damit erhalten Probiotika in der Paro-Therapie ein stärkeres Gewicht.

 

Über die Makronährstoffe (Kohlenhydrate, Proteine, Fette) hinaus rücken häufiger die Mikronährstoffe in den Fokus, vorwiegend aus Früchten, Gemüsen, Beeren oder Hülsenfrüchten. Diese bilden die Grundlage, damit Stoffwechsel und Immunsystem reibungslos funktionieren. Über die bekannten Vitamine C und D hinaus werden immer mehr Vitamine, Mineralien, Spurenelemente und vor allem sekundäre Pflanzenstoffe in ihrer Wirksamkeit bestätigt. Ballaststoffe aus pflanzlicher Kost wirken Entzündungen entgegen und haben zudem positive Effekte auf einen konstanten Blutzuckerspiegel*.

 

/// Wie Convenience schadet

Paradoxerweise kann sich das moderne Streben nach gesunder Ernährung mit viel Früchten und Gemüse sogar schädlich auf die Zähne auswirken. Convenience-Produkte machen es möglich. Bei Kindern sind beispielsweise sogenannte Quetschiesbeliebt, aus denen Fruchtpüree genuckelt wird. Erwachsene bedienen sich oftmals in ähnlicher Weise an Smoothies oder isotonischen Getränken aus einer Sportflasche (häufig aromatisiert mit Zitronensäure). Fruchtmus oder Getränk umspülen über längere Zeit die Zähne.

 

Zahnschmelz ist die härteste Substanz im menschlichen Körper, allerdings ist der Hauptbestanteil – kristallinesHydroxylapatit– säurelöslich. Die Fruchtsäure fördert Erosionen und der Fruchtzucker gibt den Kariesbakterien Nahrung.Weil die Keime mit sehr wenig Zucker auskommen, ist schon ein kleiner Schuss Apfelsaft im Mineralwasser schädlich.Je länger säurehaltiges Essen oder Getränke im Mund bleiben, desto größer wird die Belastung, weil sich die Zähne nicht mehr remineralisieren können.

 

Manchmal haben jedoch schon kleine Veränderungen eine große Wirkung. Zum Beispiel kann das Kalzium in Milchprodukten die erodierenden Eigenschaften von Säuren verringern. Obst mit Joghurt zu essen, wäre ein zahnschonender Ansatz. Früchte und Gemüse zu kauen, statt Fruchtmus zu schlürfen, würde die Gesichtsmuskulatur und den Speichelfluss fördern. Speichel verdünnt und neutralisiert die Säure, trägt außerdem zur Remineralisation von Zahnschmelz bei. Auch das Kauen von zuckerfreiem Kaugummi kann da einen Beitrag leisten.

 

/// Wie bildhafte Erklärungen helfen

Patienten ist zu raten, nach einem säurehaltigen Essen den Mund nur mit Wasser zu spülen und die Zähne erst mit etwas Verzögerung zu putzen, eine fluoridierte, niedrig abrasive Zahncreme (also keine Whitening-Produkte) zu nutzen und auf den Andruck der Zahnbürste zu achten. Schließlich werden fortschreitende Erosionen zunehmend unangenehm, wenn die Dentin-Tubuli freiliegen. Die Zähne reagieren hypersensibel auf Wärme, Kälte, osmotische Reize (zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke) oder Luftzug. Somit kann sich eine notwenige Professionelle Zahnreinigung schon wegen des Speichelsaugers schmerzhaft gestalten.

 

Grundsätzlich kann man sagen, dass Gesundheit – im Mund und anderswo – mit der Ernährung beginnt. Möglicherweise kann das eine bildhafte Beschreibung verdeutlichen: Was wir essen und trinken, ist Treibstoff für unsere Körperzellen. Niemand würde auf die Idee kommen, einen Benziner mit Diesel zu betanken. Aber da der Körper nach dem Verzehr von Schokoladenkuchen, Mettbrötchen oder Fertigpizza nicht unmittelbar den Betrieb einstellt, geht man davon aus, dass dies ja nicht so schädlich sein könne.

 

Guter Treibstoff für die Zellen steckt in komplexen Kohlenhydraten, am besten in Form von Vollkornbrot, Hülsenfrüchten, Obst, Salaten und Rohkost. Was bissfest ist, wird gut gekaut, regt den Speichelfluss an und neutralisiert damit schädliche Säuren. Bei Süßigkeiten sollte man Vernunft walten lassen und sie im Idealfall zu den Mahlzeiten essen. Alles, was klebt oder lange im Mund bleibt, richtet vermehrten Schaden an. Einfache Kohlenhydrate und schlechte Fette fördern nicht nur Übergewicht, sondern auch Karies, Entzündungen von Zahnfleisch und Zahnbett. Außerdem bedenkenswert: Eine gesunde Mundschleimhaut stellt eine erste Barriere gegen Corona- und andere Erreger dar.

 

Ernährung ist zwar ein Lifestyle-Thema (siehe Kochsendungen, Veganismus oder Diättrends), doch die Verbindung zu gesunden Zähnen und Zahnfleisch wird gedanklich nicht immer hergestellt. Die Herausforderung in der Kommunikation ist, dem Patienten die Eigenverantwortung für seinen Körper bewusst zu machen.

 

Niemand will Ängste schüren. Gangbare Schritt-für-Schritt-Lösungen aufzuzeigen, dürfte wesentlich wirkungsvoller sein (beispielsweise süße Snacks nur als Nachtisch zu essen, verstärkt Wasser statt Limo zu trinken, mehr Gerichte mit Bohnen, Linsen oder Kichererbsen zu versuchen). Zu bedenken ist: Wenn Zähne bereits wackeln und das Zahnfleisch schmerzt, kann sich gesundes Essen mit kernigem Brot, viel rohem Obst und Gemüse schwierig gestalten. Begreift man Parodontitis als Volks- und Zivilisationskrankheit könnte ein bisschen „Zurück in die Steinzeit“ nicht schaden.

 

*https://www.researchgate.net/publication/321193192_Die_Ernahrung_aus_der_Steinzeit_und_die_Zahngesundheit_-_Ein_Update

 

– AUTORIN

Julia Diedrich, zahnärztliche Oberärztin

 

– KONTAKT

AllDent Zahnzentrum Hamburg GmbH
Medizinisches Versorgungszentrum
Glockengießerwall 1
20095 Hamburg
E-Mail: hamburg@alldent.de

Internet: www.alldent-zahnzentrum-hamburg.de

 

[im Kasten]

/// Elf Tipps für die mundgesunde Ernährung

 

  1. Kohlenhydrate: Weniger ist mehr! Haushaltszucker und Weißmehl füttern Kariesbakterien und fördern Entzündungsreaktionen (nicht nur im Mund).
  2. Proteine: In Eiweiß aus magerem Fleisch, Fisch oder Hülsenfrüchten (Bohnen, Linsen, Soja) stecken Energie und Proteine. Beides ist für den Aufbau von Mundschleimhaut und Zahnfleisch wichtig.
  3. Fette: Fett ist nicht gleich Fett. Gute, ungesättigte Fette – Olivenöl, Leinöl oder Omega-3-Fettsäuren aus Nüssen oder Kürbiskernen, Lachs oder Makrele – wirken entzündungshemmend. Schlechte, gesättigte Fette sind Entzündungstreiber. Sie finden sich in tierischen Produkten (von der Butter bis zur Wurst). Oft sind sie in stark verarbeiteten Fertigprodukten enthalten (Fertigpizza, Nuss-Nougat-Creme). Vorsicht bei gefährlichen Trans-Fettsäuren in frittierten Lebensmitteln (Chips und Pommes)!
  4. Mikronährstoffe: Kupfer, Selen, Vitamin C, Zink und Eisen sind Stoffe, die keine direkte Energie liefern, die der Körper aber nicht selber herstellen kann, und die wir dringend für eine normale Funktion unseres Immunsystems brauchen.
  5. Vitamin C: Fünf am Tag bedeutet: Drei Handvoll Gemüse und zwei Handvoll Früchte essen. Speziell vitaminreiche Sorten wie Kiwi, Paprika oder Rosenkohl helfen bei der Regeneration von Knochen und Gewebe.
  6. Antioxidantien: Vitamin C, Vitamin E und Provitamin A sind in Obst und Gemüse, Pflanzenstoffe wie Flavonoide in Kaffee, grünem Tee. Sie helfen, Radikale zu neutralisieren und dienen damit der Zellerneuerung.
  7. Vitamin D: Das durch Sonneneinstrahlung gebildete Hormon hat eine antientzündliche Wirkung, es spielt eine zentrale Rolle im Kalziumhaushalt und ist damit von großer Bedeutung für Knochen und Zähne. Außerdem hilft es unserer psychischen Gesundheit.
  8. Vollkornbrot und Rohkost essen! Kauen regt den Speichelfluss an, Säuren werden neutralisiert, Zahnschmelz wieder remineralisiert. Darum ist zuckerfreier Kaugummi nach einer Mahlzeit ein guter Tipp.
  9. Viel trinken! Wasser verdünnt entstehende Säuren im Mund und wird außerdem für die Speichelproduktion gebraucht.
  10. Was klebrig ist oder lange die Zähne umspült, schadet am meisten. Das gilt auch für Trockenfrüchte und Saftschorlen. Daher: Süßigkeiten am besten als Nachtisch genießen und nicht zwischendurch snacken!
  11. Naturbelassene Milch- und Sauermilchprodukte liefern Kalzium für die Zähne und sind gut für die Mundflora. Aber auch Sesam, Mandeln, Hafer, Spinat oder Grünkohl sind wertvolle Kalziumlieferanten.